Paulus und die Psychotherapie von heute
Der Apostel Paulus aus Tarsus
Biografie, Persönlichkeit und Wirken aus ärztlicher und psychotherapeutischer Sicht
basierend auf dem Buch "Rabbi Paul" von Bruce Chilton
Inhalt
Was mich als Psychotherapeut an Paulus interessiert
Paulus
hat das Christentum und damit die abendländische Kultur wie kein anderer
geprägt. Heute definieren sich viele Menschen im Westen nicht mehr als
Christen, sondern zum Beispiel als Atheisten, Agnostiker, Humanisten oder als spirituell
und weltanschaulich unabhängig. Trotzdem sind wir alle – ob wir wollen oder
nicht – Erben einer 2000-jährigen christlichen Geistesgeschichte. Ihrem
Einfluss kann sich keiner von uns entziehen. Das Christentum hat seinerseits antike
jüdische, griechische, römische und später auch germanische Traditionen
integriert. Egal was wir denken, glauben und tun, direkt oder indirekt hat es
etwas mit Paulus zu tun. Sei es, dass wir der Theologie von Paulus heute noch
anhängen. Sei es, dass wir sie ablehnen und bekämpfen. Sei es, dass wir nach
zeitgemäßen Alternativen suchen.
Insbesondere
der moderne Sozialstaat, der jedem Menschen eine Grundsicherung garantiert, und
unser heutiges Gesundheitssystem sind konkrete praktische Anwendungen von
ethischen Prinzipien, die ursprünglich etwas mit Jesus und Paulus zu tun haben.
Das schließt auch die kassenfinanzierte Psychotherapie ein, die grundsätzlich
jeder Deutsche, der sie krankheitsbedingt benötigt – ob arm oder reich – in
Anspruch nehmen kann.
Unübersehbar
sind aber auch die Schattenseiten des christlichen Erbes. Als Arzt und
Psychotherapeut sehe ich immer wieder Patienten, denen ihre religiöse Erziehung
Unrecht und Leiden zugefügt hat, oder denen die Religionsgemein-schaft, der sie
angehören, oder die Glaubensüberzeugungen, der sie anhängen, ganz
offensichtlich schaden. Es gibt einen eigenen Fachbegriff für psychische
Erkrankungen, die
durch Fehlformen der Frömmigkeit und Religion, insbesondere durch ein beängstigendes Gottesbild, durch
sexualfeindliche Erziehung, durch allzu einengende kirchliche Bindung oder durch fanatische Religiosität entstehen. Sie heißen "ekklesiogene Neurosen"[1].
Kirche und die Religion machen aber nicht generell krank. Viele
Menschen profitieren ganz eindeutig davon, dass sie an etwas Höheres glauben,
Transzendenzerfahrungen machen, mit Gleichgesinnten Rituale vollziehen, beten
und Gemeinschaft üben.
Liebe Leserin, lieber Leser, ich lade
Sie jetzt zu einer atemberaubenden Biografie ein. Es ist die Geschichte des Paulus
von Tarsus und sein soziokultureller Hintergrund aus der Sicht des
amerikanischen Religionswissenschaftlers Bruce Chilton. Chilton hat über „Rabbi
Paulus“ ein wissenschaftlich gut begründetes Buch geschrieben, durch das Sie Paulus
vielleicht ganz neu kennenlernen werden. Chilton erklärt, wie dieser selbst
ernannte Apostel Christi, der Jesus wahrscheinlich nie persönlich begegnet ist,
bis heute eine so überragende Bedeutung und Wirkung entfalten konnte. Es wird
in dem Buch von Chilton auch deutlich, wie vieles, was heute an Gutem und
Ungutem mit dem christlichen Glauben und den Kirchen verbunden wird, in Paulus seine
Wurzel hat.
Geschichtliche, soziokulturelle und familiäre Rahmenbedingungen
Schauen
wir uns zunächst das historische Umfeld an, in dem Paulus aufwuchs. Die meisten
Juden lebten schon in der Antike nicht in Palästina, sondern in der
hellenistischen Diaspora, das heißt, verteilt auf verschiedene Orte überwiegend
im Osten des römischen Reiches, wo die griechische Sprache und Kultur vorherrschten.
Die Diaspora-Juden hatten ihre eigene Bibel, die um 250 v. Chr. in Alexandria
entstandene Septuaginta, eine Übersetzung von hebräischen und aramäischen Texten
ins Griechische.
Gegenüber
der hebräischen Bibel hatten in der Septuaginta die prophetischen Bücher
Jesaja, Jeremia und Ezekiel einen höheren Stellenwert. Das Buch Daniel steht am
Ende stellt den Höhepunkt der Septuaginta dar. In seiner apokalyptischen Vision
sieht der Prophet Daniel eine Zeitenwende mit dem Ende der ungerechten irdischen
Weltreiche voraus. Damit beginne das Reich Gottes, in dem der „Menschensohn“
die Herrschaft ausübe und der Menschheit das Heil bringe. Im Buch Daniel wird
auch die Auferstehung jener, die unschuldig gestorben sind, in Aussicht
gestellt. Daniel und die anderen prophetischen
Bücher übten wesentlichen Einfluss auf das Neue Testament, insbesondere auf die
Offenbarung des Johannes aus.
Die
Heimatstadt von Paulus ist Tarsus. Es liegt in der heutigen Türkei, eine
Flugstunde östlich von Antalya. Die ursprünglich aus Mesopotamien stammenden
jüdischen Bewohner von Tarsus genossen zu den Lebzeiten von Paulus erhebliche
Privilegien: Religionsfreiheit, Steuerbegünstigungen, eigenes Land, ein
gewisses Maß an Selbstverwaltung und den Schutz des römischen Kaisers als
Gegenleistung für ihre Loyalität. Paulus entstammte einer wohlhabenden
Zeltmacherfamilie, die das römische Bürgerrecht besaß und vermutlich profitable
Geschäftsbeziehungen zur römischen Armee und Verwaltung unterhielt.
Paulus
sprach – wie die meisten der rund 7000 anderen Juden in Tarsus – Aramäisch und
Griechisch. Seine intellektuelle Entwicklung wurde wesentlich von Pharisäern beeinflusst.
Der Name
„Pharisäer“ leitet sich vom aramäischen "perushim" (Sonderlinge, Abgesonderte) ab. Sie
stellten zu jener Zeit eine Art jüdische Bürger- und Reformpartei dar. Zu ihren
Mitgliedern zählten vor allem Handwerker, Bauern und Kaufleute. Ihr
Hauptanliegen war eine (damals) zeitgemäße Auslegung des jüdischen Gesetzes und
eine auf der Tora (den fünf Büchern Mose) gründende konsequente Glaubenspraxis.
Die Tora galt als das von Gott selbst
offenbarte Wort, an dessen Glaubhaftigkeit in der Antike kein frommer Jude,
ganz gleich welcher Glaubensrichtung oder Herkunft, zweifelte. Auch Jesus,
seine Jünger und Paulus standen als fromme Juden ganz selbstverständlich treu
zur Tora. Toratreue war zu jener Zeit keine fundamentalistische Position,
sondern kollektiver Konsenz, sozusagen "Mainstream".
Erhebliche Diskussionen und
Differenzen gab es zwischen den verschiedenen religiösen Gruppen und Strömungen
allerdings hinsichtlich der Auslegung der Tora. Insbesondere die Pharisäer
rangen um ein tieferes Verständnis der vielen Gebote und Verbote in der Tora,
um möglichst praktikable Empfehlungen für ihre tägliche Befolgung geben und
begründen zu können – und zwar unter den besonderen Bedingungen der römischen Fremdherrschaft.
Wir müssen uns folgendes vor Augen halten:
Die machtvolle Präsenz Roms war eine
ungeheure Herausforderung für das jüdische Selbstverständnis. Die Juden
genossen zwar Religionsfreiheit, aber der Einfluss der neuen Machthaber auf die
Alltagskultur war enorm. Herodes der Große und sein Sohn Herodes Antipas –
beide waren Könige von Roms Gnaden – sprachen und dachten griechisch. Zum Ärger
vieler Juden praktizierten sie an ihren Höfen und förderten in ihrem
Herrschaftsgebiet einen durch und durch römisch-hellenistischen Lebensstil. Sie
gründeten Städte, die nach dem Vorbild anderer römisch-hellenistischer Städte
gebaut wurden und römische Kaisernamen trugen.
Die Tempelaristokratie in Jerusalem, voran
der Hohepriester, kollaborierten mit der Besatzungsmacht. Das bedrohte den
Zusammenhalt des jüdischen Volks. In dieser Situation tiefgreifender nationaler
und religiöser Verunsicherung und Entfremdung suchten und fanden die Pharisäer
neue Wege. Sie waren gerade nicht die ewig Gestrigen, wie es an vielen Stellen
des Neuen Testaments suggeriert wird. Vielmehr engagierten sie sich
leidenschaftlich für eine umfassende, lebenspraxisbezogene und zeitgemäße Erneuerung
des jüdischen Glaubens.
Für
die Pharisäer spielte die "Halacha" eine zentrale Rolle. Die Halacha
umfasst Hunderte im Laufe der Zeit von Rabbinen entwickelte und zu dieser Zeit
noch mündlich überlieferte Traditionen und Regeln. Sie ergänzen die
schriftliche Tora im Hinblick auf alle Fragen des täglichen Lebens. Sie bestimmen
die Lebensweise frommer Juden bis heute. Man darf nicht vergessen, dass diese
Traditionen und Regeln, so befremdlich und anachronistisch sie uns heute auch
erscheinen mögen, dem Judentum durch alle Katastrophen seiner Geschichte
hindurch das geistige und kulturelle Überleben und seine Identität bis heute
gesichert haben.
Die
Pharisäer waren in ihrer Mehrheit realistisch genug, das Heil nicht (wie etwa
die militanten Zeloten) im selbstmörderischen Kampf gegen die übermächtigen
Römer zu suchen. Politisch nahmen sie eine eher gemäßigte, sozusagen
"bürgerliche" Position ein und suchten – wie Paulus auch – nach
geeigneten Wegen, sich mit den übermächtigen Römern zu arrangieren. Es drängte
sie nach einer angemessenen, aber eben nicht politischen Antwort auf die
Bedrohung der nationalen, religiösen und kulturellen Identität Israels. Sie
unterstützten zwar den Jerusalemer Tempelkult, aber angesichts
des Glaubwürdigkeitsverlusts der führenden Priesterschaft kämpften sie gerade
auch außerhalb des Tempels
für eine strenge und für alle Juden verbindliche Einhaltung der
Halacha.
Sie waren fest
davon überzeugt, dass sie durch ein gesetzestreues Leben das Kommen der
Gottesherrschaft und damit das Abschütteln der römischen Fremdherrschaft
beschleunigen könnten. Die Reinheitsgebote, die für die Priester des Tempels
galten, hielten die Pharisäer sogar im Alltag ein. Sie schlossen sich zu festen
Gemeinschaften zusammen, um ihre Ideale besser zu verwirklichen. Ihre
Mahlzeiten nahmen sie gemeinsam ein. So ließen sich die Speisegebote leichter
einhalten. Die Pharisäer versuchten zudem, gute Werke im Überschuss anzusammeln,
um so versehentliche Sünden auszugleichen. Darüber hinaus gaben sie Almosen und
fasteten freiwillig, um für Israel "Buße zu tun" und um sein Heil zu
beten. Sie mieden den Umgang mit Sündern und Zöllnern und weigerten sich
insbesondere, mit diesen gemeinsam zu essen.
Zu Zeit Jesu
standen die Pharisäer im jüdischen Volk als Schriftgelehrte und Gesetzeslehrer in hohem Ansehen. Im Hohen Rat
waren sie mit einer geschlossenen Fraktion von Tora-Kennern vertreten und
hatten maßgeblichen Einfluss auf die Ratsbeschlüsse. Ihr Einfluss reichte weit
über ihre Gefolgschaft hinaus in die Mehrheit des Volkes hinein. Das Volk sah
in ihnen seine natürlichen Anführer und akzeptierte die pharisäische Halacha
als wesentlichen Bestandteil der jüdischen Religion.
Jüdische Kinder lernten die Tora und
große Teile der mündlichen rabbinischen Überlieferung (die den erst nach 70 n.
Chr. schriftlich kodifizierten Talmud bildet) auswendig.[2]
Vermutlich ist auch Jesus in Nazareth zutiefst pharisäisch sozialisiert worden
und hat bis zu seinem öffentlichen Auftreten dem Pharisäertum nahe gestanden.
Jesus teilte mit den Pharisäern den Ruf zur
Buße und Umkehr, den Glauben an die Auferstehung der
Toten, an das ewige Leben, an Gottes Gerechtigkeit und an eine
individuelle Belohnung oder Bestrafung nach dem Tod. Werte wie Nächsten- und
Fremdenliebe, Mitgefühl, Vergebung und Gewaltlosigkeit waren schon vor Jesus, unter
anderem von dem berühmten pharisäischen Gelehrten Rabbi Hillel, betont worden.
Die Pharisäer waren eine heterogene
Bewegung mit unterschiedlichen innerparteilichen Richtungen und Lehrmeinungen.
Zur Zeit Jesu dominierte die Schule von Rabbi Shammai. Shammai war ein "perush"
(ein Abgesonderter) im wörtlichen
Sinn. Für ihn und seine Anhänger war es überaus wichtig, sich von jedem und
allem fernzuhalten, das sie nach ihren strengen Maßstäben als sündhaft und
unreligiös ansahen. Sie lehrten und lebten die buchstabengetreue Erfüllung der
Vorschriften der Tora. Denn sie glaubten, Gott ließe sich am besten vom Standpunkt
seiner Strenge und Gerechtigkeit sowie der kompromisslosen Richtigkeit seiner
Gesetze und seines Urteils aus verstehen.
Aus heutiger Sicht würden wir die
Shammai-Schule und ihre Vertreter vielleicht reaktionäre Fundamentalisten
nennen. Aber zu Zeit Jesu vertraten sie eine Position, die viele fromme Juden
teilten. Denn die Fremdherrschaft der Römer galt, wie alle anderen Katastrophen
des Volkes Israel seit dem Verlust seiner Souveränität durch die Assyrer im
Jahr 722 vor unserer Zeitrechung, als Strafe Gottes für den Ungehorsam seines auserwählten
Volkes. Gott wolle – so das allgemeine damalige jüdische Geschichtsverständnis
– sein Volk durch kollektive Strafen und Leiden auf den Weg zu seiner eigentlichen
Bestimmung zurückführen.
Schon Jesus war
mit seiner Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern, mit seinen Verstößen
gegen das Sabbatgebot und mit seiner Nichteinhaltung der Reinheitsgebote sowie
allgemein mit seiner Neuinterpretation der Tora bei vielen Pharisäern auf
Ablehnung gestoßen. Umgekehrt hatte Jesus den Pharisäern vorgeworfen, dass sie
die Gesetzesvorschriften nur äußerlich befolgten. Dass sie beanspruchten, als
Gerechte zu gelten, aber die Reinheit des Herzens nicht kennen und die Verlorenen
verachten würden. Trotzdem hatten Jesus und seine Nachfolger immer auch
Sympathisanten unter den Pharisäern.
Den
Pharisäern in Jerusalem ging es um Zusammenleben in größtmöglicher Reinheit. Sie
wollten jederzeit vorbereitet sein, den Tempel zu betreten. Sie suchten
möglichst große räumliche und metaphysische Nähe zu Gott. Alles was sie taten,
sollte den Willen Gottes widerspiegeln. Ihre Gebete fanden allein oder
gemeinsam, liegend, stehend, sitzend oder kniend statt. Man klatschte, bewegte
die Füße, streckte die Hände zum Himmel, sang laut Psalmen oder sprach zu sich
selbst. Im Tempel war der dreizehnfache Kniefall üblich, bei dem man mit dem
Gesicht nach unten auf dem Boden zu liegen kam.
„Vom Saulus zum Paulus“
Paulus kam
erstmals im Jahr 28 nach Jerusalem. Er behauptete später, ein Schüler des
berühmten und überaus einflussreichen pharisäischen Rabbis Gamaliel gewesen zu
sein. Chilton zufolge war Gamaliel von derselben Endzeitbegeisterung (der
Erwartung des baldigen Weltendes und Gottesgerichts) erfüllt, die auch Jesus
nach Jerusalem geführt hatte. Beide sollen von der Weissagung des Propheten Sacharja durchdrungen
gewesen sein, dass Gott sein Königtum erst aufrichten würde, wenn es keine
Händler mehr im Tempel geben würde. Man glaubte, alles würde sich zum Guten
wenden, sobald Israeliten gemeinsam mit Nicht-Juden und ohne Priester als
Mittelsmänner im Tempel opferten. Gamaliel soll später sogar die Jünger von
Jesus gegen den Hohen Priester Kaiaphas in Schutz genommen haben.
Paulus,
der inzwischen den aramäischen Namen Saul (nach dem ersten König Israels)
angenommen hatte, schlug sich zunächst auf die Seite des Hohen-Priesters und bekämpfte
die Jesus-Bewegung. Paulus reiste im Auftrag von Kaiaphas sogar nach Damaskus,
um die dortigen Jesus-Anhänger bei den lokalen römischen Behörden zu
denunzieren. Aber es kam anders, wie die Apostelgeschichte[3] (9, 3-6)
berichtet:
„Als er
aber hinzog, begab es sich, dass er sich Damaskus näherte; und plötzlich umstrahlte
ihn ein Licht vom Himmel. Und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die
zu ihm sprach: Saul! Saul! Warum verfolgst du mich? Er aber sagte: Wer bist du,
Herr? Der Herr aber sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Es wird dir schwer
werden, gegen den Stachel auszuschlagen! Da sprach er mit Zittern und
Schrecken: Herr, was willst du, dass ich tun soll? Und der Herr antwortete ihm:
Steh auf und geh in die Stadt hinein, so wird man dir sagen, was du tun sollst!“
Was war
mit Paulus geschehen? Was hat zu seiner vorübergehenden Erblindung und zu
seiner dauerhaften Kehrtwende geführt? Chilton spricht von einer Vision, die er
auf eine Reihe von begünstigenden Umständen zurückführt wie die tagelange
anstrengende Reise mit extremen Temperaturen, Nachtwachen und dem Fehlen der
üblichen urbanen Reizumgebung. Dazu kam die bei Pharisäern verbreitete
intensive Gebets- und Meditationspraxis, verbunden mit Fasten. Solche
Bedingungen können selbst bei Gesunden zu Veränderungen des Bewusstseins und sogar
zu Halluzinationen führen.
Chilton
versucht das, was vor Damaskus mit Paulus geschehen war, auch vor dem
Hintergrund der kulturellen Prägung von Paulus zu verstehen. Paulus muss in
Tarsus mit der dort verbreiteten Erwartung des nahen Endes dieser Welt in
Berührung gekommen sein. Jüdische Propheten wie Jesaja, Hesekiel, Esra und
Daniel hatten eine Endzeit verkündet, in der Gott in das Weltgeschehen
eingreifen würde. Und auch die Anhänger des Stoizismus erwarteten ein Inferno,
welches den Kosmos und alles, was nicht vernünftig war, verschlingen würde. Pharisäer
und Stoiker teilten folglich ein tief verwurzeltes Gefühl, dass die Welt nicht
von Dauer sein könne. Laut Chilton wären Jesus und Paulus, aber auch Cicero und
Seneca, erstaunt gewesen, dass nach ihnen die menschliche Geschichte noch für
2000 Jahre weitergehen sollte.
In Tarsus
war zudem die Vorstellung verbreitet, dass Menschen göttlich und damit unsterblich
werden könnten. Der Lieblingsgott in Tarsus war Tarku, dessen (alljährlicher) Tod
sein ewiges Leben begründete. In Tarku verschmolzen Tod und Leben, vergleichbar
mit Osiris in Ägypten, Dionysos in Griechenland und Tammuz in Syrien. Dazu
kommt, dass sich Paulus – als Verfolger der Jesus-Anhänger – schon vor seiner
Erscheinung eingehend mit der Jesusbewegung beschäftigt haben musste. Hunderte
der Jünger und Anhänger von Jesus behaupteten, dass ihnen der Gekreuzigte
lebendig erschienen war – ein von den Toten Auferstandener. Paulus hatte mit
eigenen Augen miterlebt, wie Anhänger von Jesus für ihre Überzeugung in den Tod
gegangen waren. Selbst der von ihm verehrte Gamaliel hatte im Hohen Rat nicht
ausgeschlossen, dass die Jesus-Anhänger den WillenGottes verkörperten
(Apostelgeschichte 5, 39).
Warum
sollte Jesus nicht tatsächlich von den Toten auferstanden und göttlich geworden
sein?[4] Warum
sollte er nicht der von den Propheten angekündigte Messias, der Sohn Gottes[5] sein? Warum
sollte Paulus, der überaus ambitionierte Gottesdiener, nicht zu jenem ausgewählten
Kreis gehören, dem Gott die Gunst direkter Offenbarung erwies wie ehemals den
Propheten Israels?[6] Und
warum sollte der göttliche Sohn nicht das heilige Zentrum Gottes in jedem
anderen Menschen werden, so wie es Jesus auf dem Weg nach Damaskus in Paulus geworden
war?
Seit
seinem Erlebnis auf der Straße nach Damaskus drängte es Paulus danach,
möglichst viele Menschen – und das waren im römischen Reich vor allem Nichtjuden
– an seiner Erfahrung tiefer innerer Verwandlung teilhaben zu lassen. Der Gott
gewordene Jesus Christus, der Sohn Gottes, sollte auch in ihnen wirksam werden.
So würden auch sie – so wie er – selbst Söhne und Kinder Gottes und damit Erben
des alttestamentarischen Heilsversprechens Gottes an das Volk Israel werden. Konflikte
mit den anderen jüdischen Anhängern von Jesus waren damit jedoch vorprogrammiert.
Die
Begleiter des erblindeten Paulus brachten ihn nach Damaskus. Dorthin hatte es
inzwischen Hunderte von Jesus-Anhängern aus Galiläa verschlagen. Einer von
ihnen, Ananias, taufte Paulus (Apostelgeschichte 9:10–19 und 22:12–16). Die
Taufe, das Untertauchen in Wasser, war für Jesus und seine Anhänger nicht nur
ein Reinigungsritual wie noch für Johannes den Täufer. Sie sahen in der Taufe
ein übernatürliches Geschehen, das mit der Vorstellung verbunden war, dass sich
Gottes Heiliger Geist über dem Gläubigen ausgoss und seinen Körper und Geist
transformierte. Mit der Taufe des Paulus soll auch seine Erblindung verschwunden
sein. Von den Jesus-Anhängern in Damaskus erfuhr Paulus aus erster Hand, was
diese mit Jesus vor und nach seinem Tod erlebt hatten.
Der selbst ernannte Apostel
Es
sollte noch Jahrzehnte dauern, bis Paulus mit seiner Heidenmission durchschlagenden
Erfolg hatte. Chilton zeichnet den langen, wechselhaften, entbehrungsreichen
und oft lebensgefährlichen Weg von Paulus nach, der ihn zunächst nach Arabien,
dann Antiochia (das heutige südtürkische Antakya), nach Zypern, später in viele
Städte Kleinasiens und Griechenlands, mehrfach nach Jerusalem und im Jahr 62 schließlich
nach Rom führte. Dort wurde er, wahrscheinlich im Jahr 64, unter Kaiser Nero
hingerichtet.
So
wechselhaft und ereignisreich die Karriere des selbst ernannten Apostels auch
war, sie zeichnet sich durch ein sich wiederholendes Muster aus: Überall findet
Paulus einflussreiche Unterstützer. Nach missionarischen Anfangserfolgen in den
Städten, die er besucht, bringt er sowohl die jüdische als auch die heidnische
Bevölkerung gegen sich auf. Er und seine engsten Begleiter werden immer wieder
bedroht, gefangen genommen, geschlagen und müssen fliehen. Einmal wird Paulus
sogar gesteinigt und überlebt nur wie durch ein Wunder.
Was
machte Paulus und seine Botschaft für einen Teil seiner antiken Zeitgenossen so
attraktiv und für viele so unerträglich? In Chiltons Biografie werden die
besonderen Persönlichkeitsmerkmale von Paulus deutlich:
- sein unerschütterliches Vertrauen in den auferstandenen Christus als Gottes Sohn (Paulus war davon überzeugt, dass sich Jesus ihm auf dem Weg nach Damaskus ganz persönlich und zweifelsfrei offenbart hatte)
- die Unbeirrbarkeit seiner Überzeugungen und seiner Mission
- seine Bereitschaft und Fähigkeit, fürchterliche Entbehrungen und Gefahren auf sich zu nehmen und durchzustehen
- sein außergewöhnlicher Ehrgeiz
- sein ausgeprägter Narzissmus, den viele als Hybris wahrnahmen
- seine Identifikation mit der Göttlichkeit von Jesus Christus
- sein radikaler Fundamentalismus und seine Kompromisslosigkeit: Paulus war besessen von der Richtigkeit seiner Lehre und von der Dringlichkeit seiner Mission. Andersdenkenden gegenüber war er völlig intolerant, er entwertete und verdammte sie.
Dazu
kommen die Besonderheiten der Lehre des Paulus:
- Er verschmolz den jüdischen Monotheismus und die Vision des auferstandenen Jesus Christus mit hellenistischen Vorstellungen und mit der stoischen Philosophie.
- Wie für Johannes den Täufer und Jesus, wie für Pharisäer und Stoiker stand auch für Paulus das Ende der Welt kurz bevor. Daher war aus seiner Sicht äußerste Eile und Kompromisslosigkeit geboten, um mit seiner Heilsbotschaft möglichst viele Menschen zu erreichen und zu retten.
- Paulus vollendete die von Jesus begonnene, Rassen und Sozialstatus übergreifende Inklusion. Damit brachte er Juden wie Nichtjuden und oftmals auch die regionalen Machthaber gegen sich auf.
- Für fromme Juden war die strikte Einhaltung von Beschneidungs-, Speise- und Reinheitsvorschriften Ausdruck ihres Gehorsams gegenüber Gott. Paulus aber gab dem auferstandenen Jesus eine höhere Priorität als der Beachtung der Gesetze und schuf damit die Voraussetzung für seine erfolgreiche Heidenmission.
- Paulus betonte, dass Gottes Gunst nicht durch Gehorsam und gute Werke, sondern durch allein durch Gottes Gnade zu erlangen sei.
- Obwohl Paulus nie aufhörte, sich selbst als Jude zu sehen und das jüdische Gesetz zu beachten, sah er die Tora zunehmend als Hindernis zwischen Gott und den Menschen an.
- Moses war in seinen Augen nicht mehr die letzte Autorität für das Judentum. Vielmehr hatte Gott jeden, ob Jude oder Heide, eingeladen, den göttlichen Sohn in sich selbst zu erfahren – so wie Paulus es erlebt hatte.
- Alle diese Punkte waren für die Pharisäer und das Rabbinische Judentum völlig inakzeptabel und trugen ihm den Vorwurf der Gotteslästerung ein.
- Paulus stellte sich sogar den wichtigsten Führern der jungen Jesus-Bewegung – Petrus, Jakobus und Barnabas – entgegen. Nie stimmten sie seiner Lehre zu, dass jeder, der an Jesus als den auferstandenen Christus, den Sohn Gottes, glaube und ihm nachfolge, damit schon – auch ohne jüdisches Geburtsrecht und ohne Beachtung der Tora – zu Gottes auserwähltem Volk Israel gehöre.
- In einem Punkt blieb Paulus ein besonders unnachgiebiger Verfechter der Tora: Bildnisse von heidnischen Gottheiten waren ihm ein Greul und ihre Anbetung unerträglich. Seine heftige Polemik gegen die im römischen Reich übliche Form von Frömmigkeit, die er „Götzendienst“ nannte, brachte mancherorts die griechische Bevölkerung gegen ihn auf.
- Paulus vertrat eine radikale Sexualmoral, degradierte Frauen und ächtete Homosexuelle (möglicherweise infolge einer Frauen- und Sexualphobie, die er mit seinem religiösen Eifer abwehrte und kompensierte).
- Er verdammte Andersgläubige und Gemeindemitglieder, die seine Sexualmoral verletzten. Er schloss sie unbarmherzig aus.
- Schon für Jesus hatte die Vorstellung zentrale Bedeutung, dass – entsprechend der Vision des Propehten Sacharja[7] – ein gemeinsames Opfer von Juden und Nichtjuden im Tempel und die gemeinsame Anbetung des Gottes von Israel dazu führen würde, dass Gott endlich in das Weltgeschehen eingreifen und sein Reich der Gerechtigkeit aufrichten würde. Es wurde nach der Auffassung von Chilton zu einem zentralen Anliegen von Paulus, im Namen der Heidenchristen ein Opfer im Tempel darzubringen und damit jüdische und nichtjüdische Gläubige zu einem einzigen Israel, zu Gottes Volk, zu vereinen.
Die Reisen von Paulus und seine Aufenthalte in Jerusalem
Paulus soll die unglaubliche Strecke
von mehr als 16.000 Kilometer, also rund einmal um den halben Erdball, zurückgelegt
haben. Fünf Mal – um die Jahre 28, 35, 46, 52 und 57 – führte ihn sein langer
Weg nach Jerusalem. Die erste Reise nach Jerusalem unternahm er von Tarsus aus.
Mit Unterstützung seiner Familie wollte er sich dort, im Zentrum jüdischer
Frömmigkeit, zum Pharisäer ausbilden lassen. Der Tempel in Jerusalem war von Herodes dem Großen prächtig ausgebaut
worden und stellte die größte religiöse Anlage in der antiken Welt dar. Er galt den rund sieben Millionen
Diaspora-Juden des Mittelmeerraums als einziger Ort, an dem sie ihrem Gott
huldigen und Opfer darbieten konnten. Tausende Pilger kamen jährlich nach
Jerusalem. Sie glaubten, dass das Opfer im Jerusalemer Tempel sie zu Israeliten
und damit zu etwas Besonderen unter den anderen Völkern machte.
Chilton
beschreibt den Jerusalemer Tempel als Ort des Aberglaubens, des Streits und Machtkampfs
rivalisierender Gruppen religiöser Eiferer um die richtige, gottgefällige
Durchführung der Opferrituale. Immerhin stellten die Opferrituale im Tempel für
die rivalisierenden jüdischen Glaubensrichtungen ein gemeinames Band dar und
ermöglichten – trotz aller Gegensätze – ein gewisses Maß an identitätsstiftender
Einheit. Auf den jungen Paulus und andere fromme Juden muss das Heiligtum wie
die "Verbindung von Erde und Himmel" (so Chilton) gewirkt haben.
Paulus blieb in Jerusalem bis um 32, das Jahr seines Damaskus-Erlebnisses.
Als Paulus um das Jahr 35 zum zweiten
Mal nach Jerusalem kam, waren die führenden Repräsentanten der Jesus-Bewegung Simon
(Petrus) und die beiden Söhne des Zebedäus, Jakobus und Johannes. Sie alle
hatten die Verklärung auf dem Berg Tabor miterlebt (wo sie in einer gemeinsamen
Vision Moses und Elia mit Jesus sprechend gesehen hatten) und galten unter den
Jüngern als die besten Kenner der mystischen und visionären Praxis von Jesus. Petrus
galt als der erste Mann, der Jesus nach der Kreuzigung lebend gesehen hatte.
Unter der Führung von Petrus hatten sich auch andere Apostel zurück nach
Jerusalem getraut. Sie lebten, aßen und beteten zusammen und teilten alles, was
sie besaßen.
Beim zweiten Besuch in Jerusalem fühlte
sich Paulus bereits durch und durch als von Jesus persönlich berufener Apostel.
Jesus hatte nie jemanden ausdrücklich dazu aufgefordert, auch Heiden für seine
Botschaft zu gewinnen. Aber Paulus war sich sicher, von Jesus den Auftrag
bekommen zu haben, sich an das Gros der Menschen im römischen Reich zu wenden: an
die ganz normalen Nichtjuden, denen der Gott Israels und seine Gesetze bisher
reichlich egal gewesen waren. Alle Menschen sollten die Chance haben, von Jesus
und von der besonderen Art von Beziehung zu Gott zu hören, für die Jesus den
Weg gebahnt hatte.
Rückendeckung für diese ungeheuerliche
Mission suchte Paulus in der spirituellen Autorität von Petrus. Tatsächlich
gelang es ihm im Jahr 35, 15 Tage lang an der Seite von Petrus in Jerusalem zu
verbringen. Er lernte, wie Petrus im Namen von Jesus taufte und wie er jedem,
der Jesus zu folgen bereit war, ewiges Leben versprach. Paulus machte diese
Botschaft zu seiner eigenen. Trotzdem ist Chilton davon überzeugt, dass Paulus
nach zwei Wochen bei den Führern der Jesus-Bewegung in Jerusalem nicht mehr
willkommen war. Zu eigenwillig, provokativ und gefährlich waren seine Ansichten
und Pläne.
Die junge Jesus-Bewegung in Jerusalem
lebte Tür an Tür mit Pharisäern und Essenern und kämpfte als neue kleine Sekte
um ihr Existenzrecht. Ihr Rabbi, Jesus, hatte auf Betreiben der
Tempelaristokratie die römische Höchststrafe erlitten. Jederzeit konnte die
Staatsmacht wieder gegen sie zuschlagen. Jesus und seine frühen Nachfolger
waren fromme Juden. Der Tempel, in dem sie täglich zusammen mit anderen
Gläubigen beteten, war ihnen heilig. Sie hofften darauf, dass sie mit ihrer
eigenen Frömmigkeit dazu beitragen könnten, dass die Prophezeiungen von Gottes
Eingreifen in das Weltgeschehen und von Israels Errettung bald Wirklichkeit
würden. Die junge Jesus-Bewegung wollte nach dem Tod ihres Meisters um keinen
Preis riskieren, erneut aus der Nähe des Heiligtums fliehen zu müssen.
Chilton glaubt, dass man in Jerusalem
sehr erleichtert war, dass Paulus schließlich in seine Heimatstadt Tarsus floh.
Zu groß war die Bedrohung von Übergriffen eifernder Diaspora-Juden geworden,
die Paulus durch seine provozierenden Äußerungen gegen sich und damit auch
gegen die Jesus-Bewegung aufgebracht hatte.
Paulus sollte erst um das Jahr 46
wieder nach Jerusalem zurückkehren. Er hatte sich in den inzwischen vergangenen
elf Jahren einen höchst zwiespältigen Namen als Heidenapostel gemacht. Beispielsweise
in Antiochia (in der heutigen Südtürkei), das damals schon eine Viertel Million
Einwohner hatte und die drittgrößte Stadt des römischen Kaiserreiches war, hatte
sich Paulus in Bevölkerungskreise vorgewagt, von denen fromme
Juden normalerweise möglichst großen Abstand hielten: Schweinefleisch essende
Götzenanbeter, die so gut wie nichts vom Gott Israels und von den Gesetzen
Moses wussten, also Menschen, die aus jüdischer Sicht zutiefst unrein waren.
Gerade aber diese Menschen – unter ihnen viele Sklaven und andere
Unterprivilegierte – erwiesen sich als empfänglich für Paulus' Versprechen,
durch die Wassertaufe im Namen Jesu zu Söhnen Gottes zu werden. Diese Leute
waren vertraut mit den verbreiteten antiken Kulten, in denen Götter wie
Dionysos, Osiris oder Tammuz aus dem Totenreich heraus wieder zum Leben erweckt
wurden. Warum sollte nicht auch der auferstandene Jesus von dieser Art sein?
Warum sollten sie sein Bild nicht einfach neben den anderen Götterbildern
anbeteten?
Für fromme Juden war eine solche Beliebigkeit unerträglich. Aber Paulus
war fest davon überzeugt, dass jeder Mensch erfahren könne, was er selbst
erlebt hatte: das Sichtbar- und Lebendig-werden des göttlichen Sohns in ihm
selbst. Wie Jesus könne jeder Gottes Geist bei der Taufe empfangen. Jeder könne
auf diese Weise ein neuer Mensch mit Gott als Vater werden, so wie auch Paulus
selbst auf dem Weg nach Damaskus transformiert wurde. Was zählte da noch
jüdische Abstammung, Beschneidung und Toratreue?
Chilton spricht von Paulus als den
"golden boy" für die vielen Benachteiligten der großstädtischen oströmischen
Gesellschaften. Paulus' Botschaft versprach gerade all jenen innere Befreiung,
denen äußerlich nicht einmal ihr eigener Körper gehörte. Die innige Beziehung
zu einem einzigen himmlischen Vater und zu dessen göttlichen Sohn, der in ihnen
selbst lebendig war, gab ihnen quasi ihren eigenen Körper zurück. Durch die
Taufe gehörte ihr Körper in einem gewissen Sinn nicht mehr ihrem weltlichen
Herrn, egal was er während des Tages von ihnen verlangen konnte. Nachts versammelten
sich diese "Christen"[8].
Sie nannten
diese Treffen "ekklesia", das
griechische Wort für Kirche, was wörtlich eigentlich "Zusammenkunft"
bedeutet.
Teilhabend an der Herrlichkeit und
Majestät von Gottes auferstandenem Sohn konnte sich jeder Christ selbst wie ein
König fühlen. Bald waren es nicht nur Sklaven und Benachteiligte, die sich von
Paulus und seiner Verkündigung angesprochen fühlten. Paulus konnte sich immer
stärker auch auf die Unterstützung von wohlhabenden und einflussreichen Bürgern
stützen. Selbst einige Repräsentanten des römischen Machtapparates protegierten
Paulus.
Aber alle Erfolge, all die Sympathie
und Unterstützung, die Paulus so oft gewinnen konnte, erwiesen sich immer
wieder als schwächer als die Entrüstung, Ablehnung und offene Feindseligkeit,
die Paulus mit seiner Radikalität und Kompromisslosigkeit fast überall provozierte.
Es war nicht nur die Rastlosigkeit und der missionarische Ehrgeiz von Paulus,
die ihn von einem Ort zum anderen trieben, sondern auch die Sorge um sein
nacktes Überleben, die immer wieder zur Flucht drängte.
Apostelkonzil in Jerusalem und der erste Brief an die Thessaloniker
Der eigentliche Anlass, der Paulus um
das Jahr 46 wieder nach Jerusalem führte, war einTreffen
der Apostel, das die Spaltung der jungen Christenheit verhindern sollte. Die
weitere Geschichte des Christentums wurde von diesem Apostelkonzil entscheidend
beeinflusst. Nach dem Tod von Jesus hatten sich unterschiedliche Lehren zu
seiner Nachfolge herausgebildet. Die wichtigsten Führungspersönlichkeiten waren
Jakobus, der ältere Bruder von Jesus, Simon Petrus und inzwischen auch Paulus. Jeder
von ihnen hatte seine eigene Vision des Auferstandenen erlebt. Alle drei waren
sich mit anderen Juden darin einig, dass eines Tages im Jerusalemer Tempel die
gesamte Menschheit zum einzig wahren Gott, dem Gott Israels, finden würde (auch
Jesus war davon überzeugt gewesen). Ihre Wege aber waren – je nach dem Auftrag,
den sie in einer persönlichen Vision von Jesus erhalten zu haben glaubten – verschieden.
Jakobus war um das Jahr 46 der erfolgreichste von ihnen. Er war der erste Bischof von Jerusalem
und die dominierende Gestalt der Jesus-Bewegung geworden. Er lebte in Jerusalem
als Nasiräer, das heißt, als ein Heiliger, der sich selbst auf Dauer Gott geweiht
hatte. Das Nasiräat war mit äußerster selbst gewählter Enthaltsamkeit und
Reinhaltung verbunden, um jederzeit für den Gottesdienst im Tempel bereit zu
sein. Mit seinem vorbildlichen Streben nach vollkommener Reinheit hatte Jakobus die Anerkennung vieler frommer
Juden (vor allem unter den Pharisäern) gefunden. So konnte er sich mit seinen
Anhängern nicht nur gegen die anhaltende Feindseligkeit der Priesterkaste im
Tempel behaupten, sondern gewann gerade auch unter stenggläubigen Juden
Anhänger.
Petrus hatte seine Mission auf die
sogenannten Gottesfürchtigen ausgeweitet, auf unbeschnittene Nichtjuden, die aber
den Sabbat und die mosaischen Gesetze achteten. Paulus' Heidenmission hingegen hatte
alle Tabus gebrochen. Sein wachsender Erfolg in der Diaspora setzte die
Gemeinde in Jerusalem dem Vorwurf aus, mit Verrätern des Judentums zu paktieren.
Laut Apostelgeschichte war der
unmittelbare Anlass für das Konzil eine Konfrontation von Paulus mit pharisäischen
Jesus-Anhängern aus Judäa, die von den Gemeindemitgliedern in Antiochia die
Beschneidung verlangten. Diese Forderung stützten sie auf das eindeutige Gebot
Gottes an Abraham, alle seine Nachkommen, selbst seine Sklaven, zu beschneiden
(Genesis 17). Die Beschneidung war nach jüdischem Verständnis eine wesentliche
Bedingung und der deutlichste Ausdruck des Bundes, den Gott mit seinem
auserwählten Volk geschlossen hatte. Ein unbeschnittener Mann konnte nicht zum
Volk Israel gehören, er verletzte den Bund. Der Streit in Antiochia wurde so
heftig, dass die Gemeindeleiter in Antiochia beschlossen, eine Delegation nach
Jerusalem zu senden, um Rat und Entscheidung von den dortigen Autoritäten
einzuholen.
Am Ende des Konzils traf Jakobus die Entscheidung, dass sich nichtjüdische Gläubige nicht bescheiden
lassen mussten. Damit war das größte Hindernis für die Heidenmission aus dem
Weg geräumt. Es blieben aber die erheblichen Differenzen darüber bestehen, in
welchem Maße Heidenchristen die vielen Vorschriften der Tora einhalten sollten.
Der Beschluss von Jakobus konnte in der Praxis nur funktionieren, wenn
es möglichst wenig Berührungspunkte zwischen den entgegengesetzten Fraktionen
gab. Unmöglich konnten judenchristliche Pharisäer und Schweinefleisch essende
Heidenchristen Kontakt pflegen, geschweige denn gemeinsam zu Tisch sitzen. Die Missionsgebiete
wurden klar abgesteckt. Je weiter Paulus von Jerusalem entfernt wirken würde,
desto weniger konnte er die Interessenssphäre von Jakobus und Petrus oder die
Befindlichkeiten der Pharisäer stören.
Griechenland war noch christliches Neuland. Sollte Paulus doch seine
zweifelhafte Aktivität dort entfalten. Jakobus gab Paulus die ersehnte
Rückendeckung unter der Bedingung, dass er in der reichen hellenistischen
Diaspora "an die Armen denken" sollte. Gemeint war die Unterstützung
für die Nasiräer, die zusammen mit Jakobus nahe dem Tempel in Armut lebten. Nur
zu gerne nahm Paulus diesen Auftrag an. Er würde bei den Heiden viel Geld für
ein eindrucksvolles "Opfer der Heiden" im Tempel sammeln. Auf diese
Weise würden sich durch sein Wirken die Prophezeiungen des Jesaja und des
Sacharja erfüllen, dass Heiden zusammen mit Juden dem Gott
Israels opfern und huldigen würden.
In Griechenland wiederholte sich das bekannte Muster: Paulus und seine
Begleiter fanden freundliche Aufnahme, viel Anklang und Unterstützer, in
Synagogen, bei Armen und Reichen und vor allem auch bei Frauen. Aber überall schlug
Paulus und seinen Mitstreitern früher oder später wieder offene Feindschaft entgegen.
Zu ihrem Leidensweg gehörten erneut Verhaftung, Auspeitschung und immer wieder
Flucht.
Nur in der multikulturellen, weltoffenen und toleranten Atmosphäre der
Stadt Korinth waren ihnen zwei vergleichsweise friedvolle Jahre vergönnt. Auch dort
blieb Paulus überaus aktiv. Er verfasste dort seinen ersten Brief an die
Gemeinde von Thessaloniki (von wo er kurz vorher hatte fliehen müssen, um sich
der Verfolgungdurch seine Gegner zu entziehen). Im ersten Brief an die
Thessaloniker, dem ersten überlieferten Brief von Paulus überhaupt, bemühte
sich Paulus noch um Konformität mit Jerusalem. Ganz im Sinne von Jakobus wird
Jesus als göttlicher Sohn dargestellt, der alleine die Menschheit vom rasch
nahenden Ende der Zeit erlösen kann.
Paulus forderte zudem einen sittlichen Lebenswandel der Gemeindemitglieder ein.
Es kam, wie es kommen musste: Am Ende formierte sich auch in Korinth gewalttätiger
Widerstand gegen Paulus und seine Helfer. Wieder schien es ratsam, zu fliehen. Immerhin
gelang es Paulus mit Unterstützung seiner Freunde, eine beachtliche Menge Geld
für die notleidende Gruppe um Jakobus in Jerusalem einzusammeln. Doch als Paulus
um das Jahr 52 das vorletzte Mal nach Jerusalem kam, fand der erhoffte
triumphale Auftritt im Tempel nicht statt. Die Zeit hatte gegen Paulus
gearbeitet. Jakobus bestand inzwischen strikt darauf, dass jeder Heide, der
Christ sein wollte, einen großen Teil der Vorschriften der Tora beachten musste
(Regeln, die in einer antiken heidnischen Umgebung im Alltag kaum befolgt
werden konnten).
Jakobus trat damit der Praxis der Heidenmission im Stil von Paulus entschiedener
denn je entgegen. Die Autorität und die Macht von Jakobus waren so groß, dass
Paulus selbst in Antiochia, das zu seinem ersten erfolgreichen Missionsgebiet gehört
hatte, keinen Fuß mehr fassen konnte. Er wurde – in den Worten von Chilton – zum
“Exkommunikanten” seiner eigenen Bewegung. Er floh nach Ephesus an der
kleinasiatischen Ägäisküste (eine Autostunde südlich der türkischen Großstadt
Izmir).
Durchschlagender Erfolg in Ephesus, Briefe an Korinther und Galater
In der wirtschaftlich und kulturell hoch entwickelten Stadt Ephesus sollte
Paulus so erfolgreich werden wie nirgendswo zuvor. Er hatte ein
unvergleichliches Talent, in seinen Zuhörern ein Gefühl zu erzeugen, dass sich Christus
in ihnen zeige. Das genau war ja seine eigene Erfahrung auf dem Weg nach
Damaskus gewesen. Von Paulus muss eine starke suggestive Wirkung ausgegangen
sein. Während er sprach, legte er seine Hände auf einige seiner Zuhörer. Dieser
körperliche Kontakt verstärkte die emotionale Wirkung seiner Worte. Nach
eigener Aussage konnte er die Kreuzigung von Jesus so lebhaft schildern, dass
seine Zuhörer das Gefühl hatten, dass sie diese Szenen sehen würden.
In den Jahren 53 bis 56 wurde Paulus in Ephesus zu einer der
bedeutendsten Autoritäten der frühen Christenheit. Unterstützt von wohlhabenden
Bürgern der Stadt konnte er jetzt unbeirrt seinen eigenen Weg gehen. Da er
selbst kein professioneller Autor war, bediente er sich von nun an zur
Abfassung seiner Briefe eines Sekretärs. Es entstanden der erste Brief an die
Korinther, möglicherweise auch der zweite Korintherbrief und der Brief an die
Galater (das antike Galatien lag in Zentralanatolien, eine Region, durch die
Paulus auf seinem Weg nach Griechenland gezogen war). Im Galaterbrief bezog Paulus
offene Opposition zu Jakobus. Petrus warf er Heuchelei vor, weil dieser zuvor
mit Heidenchristen das Mal geteilt habe, ihnen aber aus Furcht vor Jakobus
inzwischen aus dem Weg ginge.
Für Chilton ist der Galaterbrief die Magna Carta des Protestantismus. Denn
Paulus weise in ihm das Gesetz der Tora zugunsten der Liebe Christi radikal
zurück. Die Gläubigen sollten in ihrer Hoffnung auf Rettung und ewiges Leben auf
die unverdiente Gnade Gottes vertrauen, anstatt sich auf ihre eigenen Anstrengungen
bei der Erfüllung des Gesetzes zu verlassen. Die Tora, die Paulus einst als
Pharisäer so viel bedeutet hatte, sah er nun als Hindernis für die Botschaft
Christi an. Ihre Vorschriften verhinderten, dass Judenchristen und
Heidenchristen miteinander leben und essen konnten. Für Paulus bestand Gottes
Wille in einem einzigen Israel, in dem alle Gläubigen durch den Heiligen Geist vereint
sind und in dem die Trennung zwischen Griechen und Juden, Sklaven und Freien, Männern und
Frauen aufgehoben ist.
Im römischen Reich konnten Christen ihren Glauben nicht einfach
öffentlich zelebrieren und sich von den traditionellen Göttern Griechenlands
und Roms abwenden. Nur Juden genossen staatlich garantierte Religionsfreiheit
und mussten weder die römischen und griechischen Gottheiten noch den römischen
Kaiser verehren. In Ephesus fand Paulus im Haus wohlhabender jüdischer Gönner einen
geschützten Raum für seine Aktivitäten. Hier konnte er ganz offen sprechen.
Diese Hauskirche wurde zu einem wichtigen Zentrum für die Entwicklung des
christlichen Glaubens. Seine Zuhörer gehörten zur intellektuellen Avantgarde
der Stadt. Das Christentum à la Paulus war salonfähig geworden. Seine Bekanntheit und sein
Selbstvertrauen nahmen zu.
Paulus sah sich selbst als spirituelle Kraft, die Seite an Seite mit
Jesus Menschen auf den richtigen Weg des Glaubens führte. Er fühlte sich von
Jesus bevollmächtigt, selbst aus der Ferne zu entscheiden, wer Mitglied einer
Gemeinde sein konnte und wer wegen moralischer Verfehlungen ausgeschlossen
werden musste. So sehr sich Paulus dafür einsetzte, die Heidenchristen aus dem
griechischen Kulturraum nicht mit unsinnige Vorschriften der Tora zu belasten,
so unnachgiebig bestand er auf seinen eigenen Vorstellungen von richtig und
falsch.
Besonders intolerant war er in Sachen Sexualmoral und Götzenanbetung.
Bei den Griechen gehörte die Verehrung von Abbildungen von Göttern zum Alltag.
Juden lehnten die Anbetung von Bildern strikt ab. Aber Paulus schoss wieder
einmal über das Ziel hinaus. Er ereiferte sich in seinen Predigten gegen das,
was er als Götzendienst ansah, derartig aggressiv, dass sich die lokalen
Handwerker, die Götterbilder herstellten, in ihren religiösen Empfindungen
verletzt und ihr einträgliches Gewerbe bedroht sahen. Eine aufgebrachte Menge
verprügelte die Anhänger von Paulus. Er selbst musste wieder einmal ins
Gefängnis und wurde möglicherweise auch mit einer Züchtigung bestraft. Er hatte
den Frieden der Stadt gestört, in der er seit Jahren unbehelligt zu Gast sein
durfte. Wieder einmal war er untragbar geworden.
Der Zeitpunkt war gekommen, erneut nach Jerusalem zu reisen. Trotz aller
Differenzen hatte die vor Jahren geschlossene Vereinbarung immer noch Bestand, Jakobus
und seine Nasiräer in Jerusalem finanziell zu unterstützen. Paulus plante eine
triumphale Rückkehr in die heilige Stadt. Er würde nicht nur seinen Ruf als
vorbildlicher Kämpfer gegen Götzenbilder, sondern auch eine Menge Geld
mitbringen.
Tatsächlich fand Paulus bei den Gemeinden in Philippi, Berea und
Thessaloniki (nicht aber in Korinth, was ihn sehr erzürnte) großzügige Unterstützung
für diese Kollekte. Paulus hoffte, dass er mit seinem größten öffentlichen
Opfer im Jerusalemer Tempel so erfolgreich sein würde, dass er Jakobus und die
anderen dortigen Leiter der Gemeinde wieder auf seine Seite bringen könnte. Mit
der Legitimation aus Jerusalem würde er zum großen Sprung nach Rom ansetzen. In
den Augen von Chilton war Paulus von Hochmut getrieben. Es sollte seine letzte Reise
in die heilige Stadt werden.
Die letzte Reise nach Jerusalem: Der Anfang vom Ende
Die Atmosphäre in Jerusalem hatte sich verändert. Es gab einen
wachsenden Tempel-Nationalismus. Die Hohe Priesterschaft stellte sich zunehmend
auf die Seite jener Kräfte, die den Tempel von jeglichem fremden Einfluss
reinigen wollten. “Christ” genannt zu werden, kam inzwischen einer Beleidigung
gleich. Der Erfolg der Jesusbewegung in der Diaspora und die wachsende Zahl
heidnischer Christen brachten Jakobus, der nach wie vor um seine
Existenzberechtigung am Tempel rang, in eine heikle Situation. Je mehr Jakobus
unter Druck geriet, desto mehr präsentierte er sich als ritueller Purist. Damit
ging immer mehr Gemeinsamkeit mit Paulus verloren.
Als im Jahr 57 Paulus zusammen mit rund einem Dutzend Begleiter in
Jerusalem ankam, repräsentierten sie Hunderte anderer Gläubigen, die für diese
Pilgerreise und die Nasiräer Geld gespendet hatten. Bei allen Gegensätzen
fanden Paulus und Jakobus im Tempel, der für Juden und für Christen der
heiligste Ort war, einen gemeinsamen Grund. Von hier aus würde Gott sein Volk
erlösen. Nach Auffassung von Chilton glaubte Paulus (wie schon vor ihm Jesus), dass
sich zuerst die Prophezeiung des Sacharja erfüllen müsse, nach der alle Völker
im Tempel gemeinsam opfern würden. Paulus verstand sich als Repräsentant der
getauften Nichtjuden. In ihrem Namen wollte er im Tempel das entscheidende
Opfer darbringen und damit die Voraussetzungen für Gottes erlösendes Eingreifen
schaffen.
Jakobus war einverstanden, mit Paulus zusammen im Tempel zu opfern. Doch
als sie gemeinsam den Tempel betraten, wurde Paulus von einer aufgebrachten
Menge beschuldigt, Nichtjuden in das Innere des Tempels mitgenommen zu haben. Auf
eine solche Entweihung des heiligen Ortes stand die Todesstrafe. Die Polizeitruppe
des Hohen Priesters führte Paulus aus dem Heiligtum und schlug ihn. Es kam zu
Straßenschlachten zwischen Paulus-Anhängern, der Tempelpolizei und Gläubigen,
die sich für die Reinheit des Heiligtums ereiferten.
Schließlich schritten römische Soldaten ein, um die Ordnung wieder herzustellen.
Der römische Kommandant sah die Vorwürfe gegen Paulus als unbegründet an. Aber
die Menge forderte den Tod von Paulus. Um ihn vor Mordanschlägen zu schützen,
wurde er in der Hafenstadt Caesarea Maritima am Mittelmeer in römische
Schutzhaft übergeben. Dort blieb er bis um das Jahr 59 oder 60. Auf eigenen
Wunsch wurde er nach Rom überführt, wo er möglicherweise erst im Jahr 64, im Rahmen
der von Kaiser Nero angeordneten Christenverfolgung, hingerichtet wurde.
In den letzten Jahren, die Paulus in Rom lebte, gewährten ihm die
Behörden weitgehende Freiheiten, unter anderem die, Gäste zu empfangen, zu
lehren und befreundete Gemeinden zu besuchen. In den Jahren 59 bis 61 entstanden
der Brief an die Gemeinde in Philippi und der Brief an Philemon. Den Brief an
die Gemeinde in Rom hatte Paulus schon vor seiner Reise nach Jerusalem im Jahre
57 diktiert. Der Brief an die Kolosser, der Brief an die Epheser, zwei Briefe
an Timotheus, der Brief an Titus und der zweite Brief an die Thessaloniker
wurden von Paulusschülern verfasst. Paulus‘ letzte eigenen Briefe sprechen eine
neue, lyrische Sprache, betonen nicht mehr seine überragende apostolische
Autorität, sondern bringen verstärkt seine Gefühlsbindung an andere Menschen
zum Ausdruck.
Das Ende ist rasch erzählt, weil so wenig Verlässliches überliefert ist:
Im Jahr 62 wird Jakobus auf Anordnung des Hohen Priesters in Jerusalem
gesteinigt. Petrus reist nach Rom, um Hilfe für die verzweifelte Gemeinde in
Jerusalem zu suchen. Er stirbt am Kreuz. Auch Paulus wird hingerichtet – durch
Enthauptung. Neros Progrom kostet Tausende weitere Christen das Leben. Im Jahr
70 werden Jerusalem und sein Tempel zerstört. Als Folge dieser Katastrophe
hören die Juden auf, als Volk im eigenen Land zu existieren. Auch die
Christenheit verliert ihre wichtigsten Anführer.
Für die Überlebenden bilden die Briefe von Paulus die einzigen schriftlichen
Quellen ihrer christlichen Identität. Die Briefe werden abgeschrieben und an die
mit Paulus verbundenen Gemeinden verteilt, um ihnen die notwendige Orientierung
zu geben. Bei der Verbreitung der Briefe kommt Timotheus, dem geliebten Schüler
und ständigen Weggefährten von Paulus in seinen letzten Lebensjahren, eine
zentrale Bedeutung zu.
Wahrscheinlich hat Timotheus bei den letzten Briefen des Paulus bereits
mitgewirkt und den poetischen Brief an die Kolosser nach dem Tod von Paulus eigenständig,
aber durchaus im Geiste seines Meisters, geschrieben. Auch der Brief an die
Epheser könnte gut aus seiner Feder stammen. Sein Beispiel ermutigte andere
Autoren, Briefe im Namen von Paulus zu verfassen (wie der zweite Brief an die
Thessaloniker sowie die sogenannten Pastoralbriefe (erster und zweiter Brief an
Timotheus, Brief an Titus und Hebräerbrief). Unter dem Namen eines bekannten
Meisters zu schreiben, war für Autoren im Altertum nichts Ungewöhnliches.
Die Theologie der Paulusbriefe
Die Paulusbriefe sind persönliche Briefe und keine theologischen
Lehrschreiben. Paulus schrieb sie vor allem angesichts konkreter
Problemstellungen in von ihm gegründeten Gemeinden, meist als Ersatz für seine
Anwesenheit. Zugleich werden in den Briefen seine religiösen Grundüberzeugungen
deutlich, welche für die Geschichte des Christentums bestimmend werden sollten,
vor allem:
·
die Berufung auch der Heiden
zum Heil (1.Thes),
·
das Kreuz Jesu als Inbegriff
der Weisheit Gottes und
·
die Auferweckung Jesu als
Grund aller Hoffnung (1. und 2. Kor).
Erster Brief an die Thessaloniker
Der Brief entstand ca. 50/51,
vermutlich in Korinth, um die junge Gemeinde in Thessaloniki, die bereits
schwere Verfolgungen erdulden musste, weiter zum Christsein zu ermutigen und
die Hoffnung auf die endzeitliche Errettung durch den wiederkommenden Christus
zu bestärken. Jesus „ist für uns gestorben, damit wir, ob wir wachen, ob wir
schlafen, gemeinsam mit ihm leben werden“. Die Wiederkunft Jesu („Parusie“)
stehe unmittelbar bevor. Dementsprechend sollten die Gemeindemitglieder als
„Erwählte“ ihren Alltag im Sinne der Heiligung ihres Lebens gestalten. Der
Brief betont, wie wichtig Wachsamkeit und Nüchternheit sowie geistliche
Gemeinschaft und Ermunterung für die Gläubigen sind. Agape (Nächstenliebe)
bestimme das Christsein, sowohl in der Beziehung der Christen untereinander als
auch im Verhältnis zu den Außenstehenden, besonders den Verfolgern.
Paulus stellt sich in dem Brief selbst als Völkerapostel mit einer
universellen Mission vor, in der die Universalität des Heilswillens Gottes zum
Ausdruck komme. Gott hat nicht nur die Juden, sondern auch die Heiden „in sein
Reich und seine Herrlichkeit berufen“. Paulus schleudert einen
unbarmherzigen Fluch gegen Jesus-Anhänger aus Judäa mit pharisäischem
Hintergrund, die ihrer Tradition entsprechend auf der strikten Trennung von
Heidenchristen und Judenchristen bestanden. Mit seiner heftigen Sprache gegen
diese „Ioudaio“ (griechisch für Juden) leistete Paulus späterem Antisemitismus
Vorschub. Chilton schreibt: „Der Mann, der sowohl von den Synagogen als auch
von den römischen Verwaltungen als Häretiker verfolgt wurde, reagierte so
heftig, dass seine eigenen Worte die Art von Verfolgung nährten, dir er selbst
erlitten hatte.“
Der erste Brief an die Korinther und Paulus‘ Lehre von der Auferstehung
Den ersten Brief an die noch junge Gemeinde in Korinth schrieb Paulus um das Jahr 55 von
Ephesus aus. Dieser Brief ist das älteste überlieferte Zeugnis für das,
was Hunderte von Jesus-Anhängern als die Auferstehung von Jesus erlebt haben.
In ersten Korintherbrief erwähnt Paulus der Reihe nach die Personen, die
berichteten, Jesus nach seinem Tod gesehen zu haben: zuerst Petrus, dann die
anderen der zwölf Apostel, gefolgt von 500 anderen Brüdern, danach Jakobus, der
Bruder von Jesus, und schließlich Paulus selbst.
Was ist
der Liste zu halten, die Paulus mehr als zwei Jahrzehnte nach Jesu Tod
verfasste, und was von den Berichten der vielen, die den auferstandenen Jesus
gesehen haben wollen? War das alles nur fromme Dichtung, oder wurden damals
schon vorsätzlich und systematisch Fake News verbreitet? Handelte es sich um
kollektive Sinnestäuschung, um Massenhalluzination? Oder war Jesus am Ende
überhaupt nicht gestorben, wie die Muslime glauben? Und wie steht es mit der
Option, von der viele Christen überzeugt sind, dass Jesus tatsächlich,
objektiv, physisch wieder zum Leben erweckt wurde?
Nach
Meinung von Chilton betrieben Jesus und seine Jünger sowie viele andere
Anhänger von Jesus eine intensive mystische Praxis. Sie zeichnete sich durch
einen nicht sesshaften und entbehrungsreichen Lebensstil, durch Fasten,
Meditation und Gebet sowie durch Visualisierungsübungen von biblischen Motiven
aus. Jesus und seine Anhänger fühlten sich der Welt ihrer mystischen Visionen
ungleich näher als der deprimierenden sozialen und politischen Wirklichkeit,
die sich vor ihren Augen abspielte.
Die
Sehnsucht nach Gottes Eingreifen in die Welt war übermächtig. Intensive
Meditations- und Gebetspraxis mit der Visualisierung göttlicher Herrlichkeit
und das von Jesus gegebene Versprechen einer besseren Welt, in der den Armen
und Entrechteten Gerechtigkeit widerfahren würde, bot einen attraktiven Ausweg
aus dem Elend der Welt und der Härte des eigenen Lebens. Religiös motiviertes
visionäres Erleben dürfte für Jesus, seine Jünger und für viele seine Anhänger
eine regelmäßige Erfahrung gewesen sein. Um Visionen von mystisch geschulten Gläubigen könnte es
sich folglich auch bei dem hundertfachen Zeugnis von Jesus-Anhängern gehandelt
haben, die behaupteten, ihren gekreuzigten Rabbi lebend gesehen zu haben.
Laut Chilton glaubte selbst Paulus
nicht, dass Jesus in seinem physischen, fleischlichen Körper, der bestattet
worden war, erweckt worden war. Vielmehr geht für Chilton aus dem ersten
Korintherbrief (Kapitel 15) hervor, dass für Paulus Menschen gleichzeitig in
drei verschiedenen Lebensformen bzw. auf drei verschiedenen Ebenen von Körper
existieren können:
- in einer fleischlichen Form (griech. sarx), als physischer, der Sünde verfallener Körper. Fleisch“ steht nicht für eine Substanz oder den Leib, sondern auch für den der Macht der Sünde unterworfenen Menschen.
- als ein sich seiner selbst bewusster Körper, der die seelischen Funktionen einschließt, und
- in einer geistigen Form, als spiritueller Körper (sôma pneumatikon), der nicht unter der Macht körperlicher und seelischer Antriebe und Bedürfnisse steht. Nur letzterer steht in Beziehung zu Zwecken, die über Eigennutz hinausgehen. Nur ein solcher „geistlicher Leib“ (wie Luther sôma pneumatikon übersetzt hat) kann mit Gott in Verbindung treten und den Tod überwinden.
Wörtlich heißt es im ersten Korintherbrief
(15, 44):
„Es wird
gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib.“
Chilton übersetzt das griechische Wort
„psukhikon“, das Luther mit „natürlich“ übersetzte, als „psychisch“, abgeleitet
von „psukhe” = Seele. Körper sind für Paulus also nicht nur Fleisch,
sondern ihrer selbst bewusst. „Sôma pneumatikon“ übersetzt Chilton mit
„spiritueller Körper“ (spiritual body). In Römerbrief (8,13) gebraucht Paulus
„Fleisch“ (griech. sarx)
und „Leib“ (griech. soma)
hingegen synonym:
„Wenn
ihr nämlich nach dem Fleisch (sarx)
lebt, müsst ihr sterben; wenn ihr aber durch den Geist (griech. pneuma) tötet, was der Leib (soma) aus sich heraus tut,
werdet ihr leben.“
Der Unterschied zwischen „Fleisch“ und
„Leib“ liegt darin, dass der Leib (soma) in die neue Schöpfung übergeht, das
Fleisch (sarx) dagegen
nicht. „Fleisch“ beschreibt die alte Existenz, die sich mit der Sünde
identifiziert hat. „Geist“ bezeichnet das göttliche Leben, das Schöpferische
und Wunderbare.
Paulus sah in dem auferstandenen,
himmlichen Jesus keine rein geistige, virtuelle Erscheinung. Jesu sôma
pneumatikon war für Paulus – so Chilton – etwas durchaus Körperliches und
Reales. Das entspricht dem Erleben der zahlreichen „Zeugen“, die den erweckten
Jesus in sinnlich wahrnehmbarer körperlicher Präsenz erlebt hatten. Aber diese
Körperlichkeit hatte eine ganz eigene, laut Paulus eben geistliche Qualität.
Durch das hundertfache Zeugnis, dass
Jesus lebendig war, bekam der Glaube an die Auferstehung eine neue Qualität:
Was bisherig nur eine Hoffnung war, erschien von da an als gesichertes Faktum. Die
Auferstehung sah Paulus als kreativen Akt Gottes, der einen neuen Menschen
hervorgebracht hatte. Jesus war ganz offensichtlich der in den Schriften
angekündigte Messias, griechisch: Khristos, lateinisch: Christus, deutsch: der
Gesalbte. Damit eröffnete sich noch eine weitere Aussicht : Warum sollte Gott
nicht das, was er im Fall von Jesus getan hatte, auch für die tun, die an Jesus
glaubten? Mit Jesus Christus könnte schließlich die ganze Menschheit in einen
Zustand der Auferstehung transformiert und das Reich Gottes – des Gottes
Israels – endlich unter allen Völkern verwirklicht werden.
Es „wird
erfüllt werden das Wort, das geschrieben steht (Jesaja 25,8; Hosea 13,14): ‚Der
Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein
Stachel?‘ Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft aber der Sünde
ist das Gesetz. Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unsern Herrn
Jesus Christus! Darum, meine lieben Brüder und Schwestern, seid fest und
unerschütterlich und nehmt immer zu in dem Werk des Herrn, denn ihr wisst, dass
eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn.“ (1 Kor 15:35–58)
Für Chilton steht fest, dass Paulus
niemals daran glaubte, ein auferweckter Körper könnte dem Leib entsprechen, der
begraben wurde. Paulus nimmt an keiner Stelle Bezug auf das leere Grab von
Jesus. Der physische Körper von Jesus ist für Paulus vergangen wie Samen in der
Erde. Von den Toten aufzuerstehen, beinhaltete vielmehr die Transformation
dieser Welt, einschließlich der Körper. Der auferstandene Jesus war für Paulus
der neue Adam, ein Modell für eine neue Menschheit, so wie Gott auch Paulus
selbst zu einem neuen Menschen gemacht hatte, indem er seinem göttlichen Sohn
in ihm sichtbar werden ließ. Nun war es die Aufgabe von Paulus, neue Menschen
zu machen, Heiden eingeschlossen.
Neben
seiner ausgefeilten Auferstehungstheologie enthält der erste Korintherbrief viele
lebenspraktische Anweisungen. Die Hafen- und Großstadt Korinth war nicht nur für ihren
Freigeist, sondern auch für ihre losen Sitten bekannt. Zudem hatten sich unter
den gebildeten Christen der Stadt verschiedene Fraktionen gebildet, die sich gegenseitig
intellektuell zu übertrumpfen suchten. Jede Gruppe hatte ihre eigene Leitfigur,
mit der sie sich identifizierte. Spaltungstendenzen
bedrohten die Botschaft von Paulus, dass alle Gläubigen den einen einzigen göttlichen
Geist empfangen:
„So
wie unser Leib aus vielen Gliedern besteht und diese Glieder einen Leib bilden,
so ist es auch bei Christus: Sein Leib, die Gemeinde, besteht aus vielen
Gliedern und ist doch ein einziger Leib. Denn wir alle sind mit demselben Geist
getauft worden und gehören dadurch zu dem einen Leib von Christus, ganz gleich ob
wir nun Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie sind; alle sind wir mit
demselben Geist erfüllt worden.“ (1 Kor 12,12–13)
Paulus stellt radikale sittliche
Anforderungen an seine Leser:
„Täuscht
euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener noch Ehebrecher noch Lustknaben
noch Knabenschänder noch Diebe noch Habgierige noch Trunkenbolde noch Lästerer
noch Räuber werden das Reich Gottes ererben. Und solche sind einige von euch
gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden
durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.
Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt,
aber nichts soll Macht über mich haben. (…) Oder wisst ihr nicht: Wer sich an
die Hure hängt, der ist ein Leib mit ihr? (…) Wer aber dem Herrn anhängt, der
ist ein Geist mit ihm. (…) Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des
Heiligen Geistes ist, der in euch ist und den ihr von Gott habt, und dass ihr
nicht euch selbst gehört? Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit
eurem Leibe.“ (1 Kor 6, 9-20)
Für Paulus war das Ende der Welt so
nah, dass sich kein Gläubiger unnötige Belastungen aufladen sollte,
einschließlich der Ehe. Die Ehe war für ihn eine Institution dieser Welt, die
ohnehin bald vergehen würde. Als am besten sah er ein Leben ohne Sex an, wie er
es selbst – in seinen Augen vorbildlich – vorlebte.
Paulus geht in dem Brief noch auf vieles mehr ein. Unter anderem fordert er ein nach
seiner Meinung angemessenes, nämlich zurückhaltendes Verhalten der Frauen in
der Gemeinde und gibt Anleitungen zum Umgang mit Fleisch, das Götzen (anderen
Göttern als dem Gott Israels) geopfert worden war.
Der Brief enthält auch den frühesten
überlieferten Text zur Eucharistiefeier, der für uns heute in Europa selbstverständlich
gewordene sozialstaatliche Prinzipien vorwegnimmt:
„Was
ihr in euren Gottesdiensten feiert, ist gar nicht das Mahl des Herrn. Denn
anstatt miteinander zu teilen, isst und trinkt jeder das, was er selbst
mitgebracht hat. So bleibt der eine hungrig und durstig, während der andere
sich betrinkt. (…) bedeutet euch Gottes Gemeinde so wenig, dass ihr diejenigen
geringschätzig behandelt, die arm sind und kein Essen mitbringen konnten? (…) In
der Nacht, in der unser Herr Jesus verraten wurde, nahm er ein Brot, dankte
Gott dafür, brach es in Stücke und sprach: ‚Das ist mein Leib, der für euch
hingegeben wird. Feiert dieses Mahl immer wieder und denkt daran, was ich für
euch getan habe, sooft ihr dieses Brot esst!‘ Ebenso nahm er nach dem Essen den
Kelch mit Wein, reichte ihn seinen Jüngern und sprach: ‚Dieser Kelch ist der
neue Bund zwischen Gott und euch, der durch mein Blut besiegelt wird. Sooft ihr
aus diesem Kelch trinkt, denkt an mich und an das, was ich für euch getan habe!‘
Denn jedes Mal, wenn ihr dieses Brot esst und aus diesem Kelch trinkt,
verkündet ihr, was der Herr durch seinen Tod für uns getan hat, bis er kommt.
(…) Darum, meine Brüder und Schwestern, nehmt aufeinander Rücksicht und teilt
das Essen miteinander, wenn ihr zusammen das Abendmahl feiert.“(1 Kor 11:
20–33)
In der antiken Welt hatten
Opferrituale generell das Ziel, dass die Gottheit während des Rituals zugegen
war. Wenn Paulus die Abendmahlsworte von Jesus sprach, Wein trank und mit den
anderen Gläubigen Brot aß, rief er Gottes Anwesenheit an. Das Ritual stellte
eine Verbindung aller Teilnehmer mit allen anderen, die Gott anbeteten, her einschließlich
mit Jesus selbst. In der griechischen und römischen Antike wurden religiöse
Mahlzeiten als etwas angesehen, dass die Menschen mit ihren Vorfahren und mit
ihren Göttern in Kontakt brachte. Auch der auferstandene Jesus hatte sich bei
seinen Jüngern gezeigt, wenn sie ihr Brot brachen. Die kreative Hinzufügung von
Paulus bestand darin, dass immer dann, wenn sie in seinem Namen das Brot
brachen, sie in seinem spirituellen Körper zu einem organischen Ganzen vereint
würden. Für Chilton stand hierbei einmal wieder die stoische Philosophie mit
ihrer Vorstellung von göttlicher Einheit und Ganzheit Pate.
Eine der bekanntesten und am
häufigsten zitierten Stellen des ersten Korintherbriefs ist das Hohelied der
Liebe (1 Kor 13):
„Wenn ich mit Menschen- und
mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz
oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste
alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge
versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich
alle meine Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, mich zu rühmen, und
hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze. Die Liebe ist langmütig
und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie
bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht
das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht
zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an
der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet
alles. (…) Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe
ist die größte unter ihnen.“
Brief an die Galater
Den Brief an die Galater schrieb Paulus vermutlich um das Jahr 55 von
Ephesus oder Mazedonien aus an verschiedene Gemeinden in
der römischen Provinz Galatien in Zentralanatolien. In ungewöhnlich scharfen
Worten setzt sich Paulus mit der alarmierenden Nachricht auseinander, dass in
den von ihm begründeten galatischen Gemeinden judenchristliche Missionare
aufgetreten waren, die von den Heidenchristen die Beschneidung und Einhaltung
der mosaischen Gesetze forderten. Dies widersprach der Einigung auf dem
Apostelkonzil, nach der getaufte Heiden nur einige Kernbestimmungen der
Speisevorschriften (kein Blut, kein Aas, kein heidnisches Opferfleisch)
einhalten mussten. Paulus beschreibt, wie die Einigung zustande gekommen war und
prangert darüber hinausgehende Forderungen als Irrlehre an.
Für Paulus ist die vollkommene
Erlösung der Sünder nur durch den Glauben an Jesus Christus möglich, nicht
durch die Einhaltung des Gesetzes. Schon Abraham sei vor Gott nicht durch das jüdische
Gesetz (das es zu seinen Lebzeiten noch nicht gab) gerechtfertigt gewesen,
sondern durch seinen Glauben an die Verheißung Gottes. Der Weg zum Heil könne sich
auf nichts anderes gründen als auf das, was Jesus am Kreuz vollbrachte. Dadurch
stünden die, die an ihn glauben, nicht mehr unter der Macht der Sünde und seien
frei. Paulus macht in seinem Brief allerdings deutlich, dass die Freiheit in
Christus keine Freiheit für Sünde sein kann. Vielmehr fordert er die Gläubigen
auf, in der Kraft des Heiligen Geistes zu leben:
“Wandelt
im Geist, so werdet ihr die Lust des Fleisches nicht vollbringen. Denn das
Fleisch gelüstet gegen den Geist und der Geist gegen das Fleisch; und diese
widerstreben einander, sodass ihr nicht das tut, was ihr wollt. Wenn ihr aber
vom Geist geleitet werdet, so seid ihr nicht unter dem Gesetz. Offenbar sind
aber die Werke des Fleisches, welche sind: Ehebruch, Unzucht, Unreinheit,
Zügellosigkeit; Götzendienst, Zauberei, Feindschaft, Streit, Eifersucht, Zorn,
Selbstsucht, Zwietracht, Parteiungen, Neid, Mord, Trunkenheit, Gelage und
dergleichen, wovon ich euch voraussage, wie ich schon zuvor gesagt habe, dass
die, welche solche Dinge tun, das Reich Gottes nicht erben werden. Die Frucht
des Geistes aber sind Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte,
Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung. Gegen solche Dinge gibt es kein Gesetz” (Gal
5, 16-24).
Für Paulus gibt es nur einen Weg der
Rettung für das ewige Leben: die absolute Treue zu Jesus. Das Kreuz von Jesus
ist der Wendepunkt, an dem die provisorische Funktion der Tora (auch für Juden)
endet und der Geist für die ganze Menschheit beginnt. Paulus definiert völlig
neu, wer zum Volk Gottes gehört:
„Denn
ihr alle seid durch den Glauben Söhne Gottes in Christus Jesus; denn ihr alle,
die ihr in Christus hinein getauft seid, ihr habt Christus angezogen. Da ist
weder Jude noch Grieche, da ist weder Knecht noch Freier, da ist weder Mann
noch Frau; denn ihr seid alle einer in Christus Jesus. Wenn ihr aber Christus
angehört, so seid ihr Abrahams Same[9]
und nach der Verheißung Erben.“ (Gal 3:26–29)
Chilton: Ein Israelit zu sein, hatte nach
dieser Definition nichts mehr mit deiner Abstammung zu tun oder damit, ob du
die Tora beachtest. Es kam nur noch darauf an, dass man Gottes Geist empfangen hatte
und dass sich der Sohn in einem gezeigt hatte. Paulus selbst folgte weiterhin der
Tora, doch er glaubte, dass auch Heiden die Sohnschaft erben konnten, ohne das
Gesetz anzunehmen. Das war in seinen Augen Israels Geschenk an die Welt:
“Wozu
nun das Gesetz? Der Übertretungen wegen wurde es hinzugefügt, bis der Same
käme, dem die Verheißung gilt (…).” (Gal 3:20)
Für Chilton wird hier
deutlich, dass die Tora für Paulus nicht die Anleitung ist, wie jedermann leben
sollte, sondern der Wegweiser, um zu Christus zu kommen. Für Pharisäer und für das spätere
rabbinische Judentum klang das alles absurd und verwirrte viele Menschen – Juden
und Heiden gleichermaßen. Paulus selbst hörte nie auf, die Tora einzuhalten.
Bis zu seinem Lebensende verfolgten ihn Vorwürfe von Ungereimtheit und
Heuchelei.
Zweiter Korintherbrief
Paulus verfasste
den zweiten Korintherbrief (wahrscheinlich eine spätere Sammlung
verschiedener, ursprünglich selbständiger Briefe) zwischen 55 und 57 in
Mazedonien. Er wollte das angespannte Verhältnis zu den Korinthern und den
Konflikt wegen des Auftretens konkurrierender Missionare in Ordnung bringen.
Einige Gemeindemitglieder hatten Paulus sogar die göttliche Berufung zum
Aposteldienst abgesprochen, sodass er sich gezwungen sah, sich zu verteidigen.
Die Weigerung der Korinther, an der Sammlung für die notleidenden Nasiräer um
Jakobus teilzunehmen, gab den Anlass zu Belehrungen über freudiges Geben. Der
Brief thematisiert auch die Beziehung der Gläubigen zu Christus, die Gefahr der
Verführung in der Gemeinde und die aus Sicht von Paulus notwendige Trennung der
Gläubigen von der Welt und verkehrten Einflüssen.
Für Chilton ist das zentrale
theologische Thema des Briefes die Ersetzung des alten Bundes, den Gott mit
Moses geschlossen hatte, durch einen neuen Bund. Schon bei Jeremia wurde der
neue Bund angekündigt:
“Siehe, Tage kommen, spricht
der Herr, da ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund
machen werde: (…) Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und werde es auf
ihr Herz schreiben; und ich werde ihr Gott, und sie werden mein Volk sein. Und
sie (…) alle werden mich erkennen von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Größten,
spricht der Herr. Denn ich werde ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nicht
mehr gedenken.“ (Jer 31,31–34)
Was zeichnet den neuen Bund
durch Jesus gegenüber dem alten Bund aus? Moses hatte laut Tora sein Gesicht bedecken
müssen, nachdem er Gott auf dem Sinai getroffen hatte, um die Israeliten vor der
der göttlichen Herrlichkeit in seinem Gesicht zu schützen. (Exodus 34:32–35). Für Paulus
wurden sie
„mit
Blindheit geschlagen. Wenn sie die Schriften des Alten Bundes lesen, liegt für
sie bis heute immer noch dieselbe Decke über deren Worten, und es wird ihnen
nicht klar, dass dieser Bund durch Christus an sein Ende gekommen ist. Auch
über ihrem Verstand liegt bis heute eine Decke, wenn sie die Schriften Moses
lesen. Aber was für Mose galt, gilt auch für sie alle: ‚Wenn er sich dem Herrn
zuwendet, wird die Verhüllung weggenommen.‘ Der Herr aber, von dem dieses Wort
spricht, nämlich Jesus Christus, wirkt durch seinen Geist. Und wo der Geist des
Herrn ist, da ist Freiheit. Wir alle sehen in Christus mit unverhülltem Gesicht
die Herrlichkeit Gottes wie in einem Spiegel. Dabei werden wir selbst in das
Spiegelbild verwandelt und bekommen mehr und mehr Anteil an der göttlichen
Herrlichkeit. Das bewirkt der Herr durch seinen Geist.” (2 Kor 3:14–18)
Für Chilton wird aus solchen Worten
deutlich, dass Paulus beanspruchte, wie Moses die Herrlichkeit Gottes – allerdings
in Christus – direkt gesehen zu haben. Seine Aufgabe war damit der von Moses
vergleichbar geworden. Paulus war davon überzeugt, dass das, was sich in ihm
selbst offenbart hatte, genauso bindend war wie Gottes Bund mit Moses, aber
freier und wahrhaftiger. Denn Paulus und seine Anhänger hatten von Gott den
Glauben in ihrem Herzen empfangen, der den Kontakt mit den Geist Gottes und
seiner Kraft ohne Schaden überstehen konnte. Sich mit Moses auf eine Stufe zu
stellen, kam vom jüdischen Standpunkt aus einer blasphemischen Entwertung der
Tora nahe.
Brief an die Römer
Der Brief an die Römer entstand (Chilton vermutet in Milet), nachdem die
Sammlung für Jakobus und seine Nasiräer abgeschlossen war und Paulus kurz vor
seiner letzten Reise nach Jerusalem im Jahr 57 stand. In Rom gab es in den
vielen jüdischen Synagogengemeinden, denen sich auch zum Judentum konvertierte und
gottesfürchtige Nichtjuden anschlossen, bereits Anhänger von Christus, die zur
Zeit des Römerbriefs in den Synagogen aber schon nicht mehr geduldet waren. Auseinandersetzungen
zwischen Judenchristen und Heidenchristen hatten zur Ausweisung von Juden aus
Rom unter Kaiser Claudius geführt.
Den Hausgemeinden, an die Paulus
schrieb, gehörten sowohl Juden- als auch Heidenchristen an. Frauen spielten eine
wichtige Rolle. Paulus hatte die römischen Gemeinden nicht gegründet, daher
ging er weniger auf spezielle Probleme der Gemeinden ein, sondern stellte vorrangig
seine Lehre dar. Der Römerbrief gilt als die umfassendste und ausgereifteste
Darstellung der Theologie von Paulus.
Ausgangspunkt des Briefes ist
der Zorn Gottes über die
“Gottlosigkeit
und Ungerechtigkeit der Menschen, welche die Wahrheit durch Ungerechtigkeit
aufhalten, (…) sein unsichtbares Wesen, nämlich seine ewige Kraft und Gottheit,
wird seit Erschaffung der Welt an den Werken durch Nachdenken wahrgenommen, sodass
sie keine Entschuldigung haben. (…) Und gleichwie sie Gott nicht der
Anerkennung würdigten, hat Gott auch sie dahingegeben in unwürdige Gesinnung,
zu verüben, was sich nicht geziemt, als solche, die voll sind von aller
Ungerechtigkeit, Unzucht, Schlechtigkeit, Habsucht, Bosheit (…).” (Römer 1,
18-20; 28-29)
Alle Menschen stehen unter der
Herrschaft der Sünde (Röm 3,9) und müssen sich vor dem Gericht Gottes verantworten.
Doch Gott schenkt Gerechtigkeit
“durch
den Glauben an Jesus Christus, die zu allen und auf alle (kommt), die glauben. Denn
es ist kein Unterschied; denn alle haben gesündigt und verfehlen die
Herrlichkeit, die sie vor Gott haben sollten, sodass sie ohne Verdienst
gerechtfertigt werden durch seine Gnade aufgrund der Erlösung, die in Christus
Jesus ist. Ihn hat Gott zum Sühnopfer bestimmt, (das wirksam wird) durch den
Glauben an sein Blut, um seine Gerechtigkeit zu erweisen (…).” (Römer 3, 21-25)
Chilton erkennt hier wieder das
Leitmotiv von Paulus, dass Juden und Christen gemeinsam, ohne Unterschied, das
entscheidende Opfer im Jerusalemer Tempel darbringen könnten, durch dass sich
alles ändern würde. Daher war es für Paulus so wichtig, das Juden und Griechen
ungeachtet ihrer Religion, ihrer Rasse oder ihres Status in
Glaubensgemeinschaften zusammenlebten als Ausdruck von Gottes neuer Schöpfung.
Das Beispiel des Urvaters
Abraham dient Paulus dazu zu zeigen, dass schon vor der Einführung der Beschneidung
und des mosaischen Gesetzes allein durch Glaube an Gott Gerechtigkeit erlangt
werden konnte. Abraham habe auf Gottes Zusage vertraut, dass er Vater vieler
Völker würden (Gen 17,5 EU), und habe so die Verheißung erlangt. Die
Beschneidung sei folglich nicht Ursache der Abraham von Gott zugesprochenen
Gerechtigkeit, sondern nur äußeres Zeichen seines Bund mit Gott. Genauso sollen
die Christen glauben, dass Jesus zur Vergebung ihrer Sünden gestorben und
auferstanden ist, und um dieses Glaubens willen Gerechtigkeit bei Gott erlangen
(Römer 4 ,22–23). Paulus bezeichnet Abraham als den Vater aller Gläubigen,
sowohl der Juden als auch der Griechen.
Adams Schuld des Ungehorsams gegen Gott lastet nach
Paulus als Unheilslast auf der ganzen Menschheit und wird von den Menschen laufend
perpetuiert. Doch alle Schuld werde weit übertroffen von der Gnade Gottes, die
durch den Gehorsam Jesu ermöglicht wurde:
“Also,
wie nun durch die Übertretung des Einen (Adam) die Verurteilung für alle
Menschen kam, so kommt auch durch die Gerechtigkeit des Einen für alle Menschen
die Rechtfertigung, die Leben gibt. Denn gleichwie durch den Ungehorsam des
einen Menschen (Jesus) die Vielen zu Sündern gemacht worden sind, so werden
auch durch den Gehorsam des Einen die Vielen zu Gerechten gemacht” (Römer
5,18-19).
Für Chilton ist die Vorstellung menschlicher
Solidarität in Adam und im Messias durch und durch jüdisch. Aber die Idee, dass
die Gläubigen bei der Taufe mit Jesus sterben und auferstehen, gleiche den
Mysterien von Göttern wie Dionysos.
Für Paulus stirbt durch die
Taufe der, der an Jesus glaubt, mit Jesus und ist damit der Macht der Sünde
entzogen. Paulus ist überzeugt,
“dass
unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist (…), sodass wir der Sünde nicht
mehr dienen (..). Wenn wir aber mit Christus gestorben sind, so glauben wir, dass
wir auch mit ihm leben werden (…). Denn die Sünde wird nicht herrschen über
euch, weil ihr nicht unter dem Gesetz seid, sondern unter der Gnade. (…) Nachdem
ihr aber von der Sünde befreit wurdet” und “der Gerechtigkeit” und “Gott
dienstbar geworden seid, habt ihr als eure Frucht die Heiligung, als Ende aber
das ewige Leben” (Römer 6: 6-8, 14, 18, 22).
Wer in Jesus Christus lebt,
ist laut Paulus frei vom Gesetz (Römer 7: 6). Das Gesetz sei heilig, gerecht
und gut. Es diene dazu, das Wesen der Sünde zu erkennen, kann aber die
Schuldverfallenheit des Menschen nicht überwinden (Römer 7: 12-13).
“Denn
wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die
Sünde verkauft. (…) Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch,
nichts Gutes wohnt; das Wollen ist zwar bei mir vorhanden, aber das Vollbringen
des Guten gelingt mir nicht. Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern
das Böse, das ich nicht will, das verübe ich. Wenn ich aber das tue, was ich
nicht will, so vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir
wohnt. (…) Denn ich habe Lust an dem Gesetz Gottes nach dem inneren Menschen;
ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das gegen das Gesetz
meiner Gesinnung streitet und mich gefangennimmt unter das Gesetz der Sünde,
das in meinen Gliedern ist. Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von
diesem Todesleib? Ich danke Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn! So diene
ich selbst nun mit der Gesinnung dem Gesetz Gottes, mit dem Fleisch aber dem
Gesetz der Sünde” (Römer 7: 14-25).
Zwischenbemerkung
aus psychodynamischer Sicht:
Paulus beschreibt
hier treffend den Widerstreit zwischen angeborener Triebstruktur (Tiernatur)
des Menschen und den Anforderungen der Kultur (Gesetz, Überich). Paulus ist
überaus modern in seiner geradezu introspektiven und selbstkritischen Erkenntnis
der Macht der Triebe und der relativen Ohnmacht von Willensanstrengung und
kulturellen Moralvorstellungen. Seine ganze Hoffnung gründet daher folgerichtig
auf etwas Transzendentem, auf Gottes Gnade und Liebe. Kultur- und
geistesgeschichtlich fatal hat sich dagegen die totale Entwertung und
Verdammung des Leibes und seiner Triebstruktur durch Paulus ausgewirkt. Bis
heute leidet das christlich geprägte Abendland unter dem Dualismus und einer
fast unüberwindlichen Dissoziation von Körper und Geist.
Ein zentrales Thema von Paulus,
das auch im Römerbrief deutlich wird, ist die Bestimmung des Volkes Israel und seine
Beziehung zu den Heidenvölkern:
„(…)
meine Brüder, meine Verwandten nach dem Fleisch, die Israeliten sind (die),
denen die Sohnschaft und die Herrlichkeit und die Bündnisse gehören und die
Gesetzgebung und der Gottesdienst und die Verheißungen; ihnen gehören auch die
Väter an, und von ihnen stammt dem Fleisch nach der Christus, der über alle
ist, hochgelobter Gott in Ewigkeit. Amen!“ (Römer 9:4-5)
Laut Chilton hatte Paulus seine
Vorstellung über das, was das Judentum ausmacht, nach seinem Damaskuserlebnis
völlig verändert. An erster Stelle habe jetzt die Sohnschaft gestanden, was
aus pharisäischer Sicht eine befremdliche Priorität war. Schon Jesus habe eine
für Pharisäer schwer akzeptierbare Form des jüdischen Glaubens praktiziert, die
das Reich Gottes über das Gesetz stellte. Doch habe Jesus immerhin keinen
Konflikt zwischen Königreich und Gesetz gesehen. Paulus hingegen habe Nichtjuden
die Sohnschaft ganz ohne Gesetz angeboten. So etwas sei für Pharisäer völlig
inakzeptabel gewesen.
Obwohl die Mehrheit der Juden
Jesus als Messias nicht annahm, hat Gott Paulus zufolge sein Volk nicht
endgültig verworfen. Israels Erwählung, der Bund, den Gott mit Abraham
geschlossen hat, und die Tora seien weiterhin und unwiderruflich gültig (Römer
9:4–13). Gott habe nur einen Teil der Juden verstockt, um auf diese Weise den
Heiden die Möglichkeit zu geben, von Jesus zu hören und zum Glauben zu finden.
Es sei der Eifer für Gott, der
die große Mehrheit der Juden das Evangelium Jesu Christi, das sie retten soll,
ablehnen lässt. In dieser Ablehnung wiederhole sich die alte Widerspenstigkeit
des Volkes Gottes für das prophetische Wort Gottes (Römer 10: 16-21). Doch wegen
seiner Verstockung dürfe Israel nicht abgeschrieben und vergessen werden. Im
Gegenteil: Da Gott seine Gnade nicht reut, wird er „ganz Israel“ retten, und
zwar durch den „Retter vom Zion“ (Römer 11: 26).
Paulus ermahnt die Gläubigen
in Rom
“angesichts
der Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber darbringt als ein lebendiges,
heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer: das sei euer vernünftiger Gottesdienst!”
Paulus ermahnt auch zu
Bescheidenheit, zur eifrigen und freudigen Nutzung der von Gott gegebenen Gnadengaben,
zu Brüderlichkeit und gegenseitiger Ehrerbietung, Beharrlichkeit im Gebet,
Gastfreundschaft, Mitgefühl, Eintracht und Segnung jener,
“die
euch verfolgen. (…) Vergeltet niemand Böses mit Bösem! Seid auf das bedacht,
was in den Augen aller Menschen gut ist. (…) Lass dich nicht vom Bösen
überwinden, sondern überwinde das Böse durch das Gute!” (Römer 12: 1-21)
“Jedermann
ordne sich den Obrigkeiten unter, die über ihn gesetzt sind; denn es gibt keine
Obrigkeit, die nicht von Gott wäre; die bestehenden Obrigkeiten aber sind von
Gott eingesetzt. Wer sich also gegen die Obrigkeit auflehnt, der widersetzt
sich der Ordnung Gottes; die sich aber widersetzen, ziehen sich selbst die
Verurteilung zu.” (Römer 13: 1-2)
Chilton sieht hier die
stoische Vorstellung, die auch Seneca, Zeitgenosse von Paulus und Lehrer von
Nero, vertrat, dass die irdischen Herrscher göttliche Diener “für das Gute”
sind. Paulus bestand auf
Gehorsam gegenüber dem römischen Imperium, weil jede politische Gewalt ohnehin genauso
vergänglich wäre wie die auf ihr baldiges Ende hin steuernde Welt insgesamt.
Außerdem wurde auf diese Weise die Verträglichkeit des Christentums mit dem
bestehenden politischen System unterstrichen.
Als Konsequenz aus der besonderen Rolle Israels in Gottes Plan fordert
Paulus von Juden- und Heidenchristen in der Gemeinde gegenseitige Akzeptanz.
Zwar nennt er die, die nicht
wie er selbst ohne schlechtes Gewissen zusammen mit Menschen an einem Tisch
sitzen können, die sich nicht an die jüdischen Speisegebote halten, schwach,
verlangt aber von den sogenannten Starken, Rücksicht auf deren Gewissen zu
nehmen (Römer 14: 1, 15: 7).
Kein anderes Buch der Bibel hatte eine so starke Wirkung wie der
Römerbrief.
Augustinus von Hippo entwickelte aus ihm die Lehre von der Erbsünde, die für
die weitere christliche Lehrentwicklung bestimmend wurde. Martin Luther gründete
auf ihm seine Rechtfertigungslehre, dass allein Gottes Gnade und nicht die
guten Werke den Menschen vor Gott gerecht sein lässt (ein zentrales Element der
Reformation).
Brief an die Kolosser
Der Brief an die Kolosser wurde möglicherweise erst nach dem Tod von Paulus verfasst.
Chilton sieht Timotheus als Autor, der aber ganz im Sinne von Paulus schreibe.
Anlass des Briefes scheint gewesen zu sein, dass einige Mitglieder der Gemeinde
in Kolossae (nahe Ephesus) mit einer „Philosophie“ sympathisierten, die von
Heidenchristen die Beachtung von Speiseverboten, des Neumondes und Sabbats verlangte.
Die „Philosophen“ beriefen sich auf ihre „Weisheit“, die sie in Visionen und im
Kontakt mit Engeln erfahren haben wollten. Vor diesen Lehrern warnt der Brief.
Chilton hebt die poetische Qualität
des Kolosserbriefs hervor. Christus wird in ihm dargestellt als
„das Ebenbild des
unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene, der über aller Schöpfung ist. Denn in
ihm ist alles erschaffen worden, was im Himmel und was auf Erden ist, das
Sichtbare und das Unsichtbare, seien es Throne oder Herrschaften oder
Fürstentümer oder Gewalten: alles ist durch ihn und für ihn geschaffen; und er
ist vor allem, und alles hat seinen Bestand in ihm. Und er ist das Haupt des
Leibes, der Gemeinde, er, der der Anfang ist, der Erstgeborene aus den Toten,
damit er in allem der Erste sei. Denn es gefiel [Gott], in ihm alle Fülle
wohnen zu lassen und durch ihn alles mit sich selbst zu versöhnen, indem er
Frieden machte durch das Blut seines Kreuzes – durch ihn, sowohl was auf Erden
als auch was im Himmel ist“ (Kol 1:15–20).
Einige Schlussbemerkungen von Chilton
Paulus erfand nicht den Kern
der Botschaft, für die er starb. Für Chilton bleibt Jesus der Genius und
Begründer des Christentums. Die prophetische Vision von Jesus, wie das Reich
Gottes ausgehend von Jerusalem alles verwandeln würde, sei für seine Anhänger
das zentrale Anliegen ihres jüdischen Glaubens geblieben. Aber der Erfolg von
Jesus sei begrenzt gewesen auf den Kreis seiner Jünger. Die Zahl der Menschen,
die direkt nach seiner Kreuzigung behaupteten, sie hätten den Auferstandenen
gesehen, habe weniger als Tausend betragen. Erst
durch Paulus habe ihre gemeinsame Vision des lebenden Jesus radikale
Veränderungen hervorgebracht.
Weder Jesus noch Petrus oder
Paulus wollten nach Chilton eine neue Religion begründen oder mit der Tradition
Israels brechen. Petrus und Paulus sahen ihre Aufgabe darin, den Wirkungskreis
des Volkes Abrahams auszuweiten. Paulus passte wie kein anderer die Jesusbotschaft
seiner heidnischen Zielgruppe an. Es ging ihm – so Chilton – nicht mehr
vorrangig um die Verwirklichung des Reiches Gottes (das Hauptanliegen von Jesus),
sondern um die Realisierung von Jesus Christus im Gläubigen selbst und die
Erfahrung der Kraft des göttlichen Geistes, die von ihm ausging. Paulus
behauptete sogar, er könne den göttlichen Sohn in jenen zum Leben erwecken, die
bereit waren zu hören, was er aus der Kraft seines eigenen Glaubens heraus
sagte.
Chilton sieht Jesus als den
Begründer des Christentums und Paulus als dessen “Macher” (maker). Paulus
entwickelte ein neues Verständnis der Taufe: Es ging ihm nicht mehr primär um
spirituelle Reinigung, sondern um die Verwandlung des Menschen durch den Geist.
Jeder Getaufte würde integraler Bestandteil des Gottesvolkes Israel werden. Durch
die Taufe würden die Gläubigen zu “euparedros”, die “ohne Ablenkung beständig
beim Herrn bleiben” (1 Kor 7: 35).
Euparedros zu sein bedeutete
völlige Hingabe für das Königreich Christi: für das kommende, aber auch für
das, das durch Jesus schon gekommen war. Für Paulus war der Körper jedes
getauften Gläubigen ein Tempel des Geistes. Tiefes Bewusstsein für das eigene Selbst
und die Vervollkommnung durch die Präsenz des Geistes würden die Selbstaufopferung
zur höchsten Freude machen. Jeder euparedros würde den Christus-Geist auch in
anderen erwecken können.
In den Augen von Chilton waren
die Gebrochenheit von Paulus’ eigenen Körper, seine chronischen Schmerzen und
seine Schwächung für jedermann offensichtlich. Auch sein heftiges Temperament
und seine Vorurteile seien unübersehbar gewesen. Paulus habe in seinem eigenen
Herzen nie Vollkommenheit gefunden. Er habe auch nicht erwartet, sie in dieser
Welt zu finden. Paulus blieb “sogar dann, wenn er in sich die Regungen eines
wahreren Selbst fühlte, das mit Gottes Schöpfung Frieden schließen und die
eigene fragmentierte Seeleheilen konnte”, ein Realist: Er sei sich immer
bewusst gewesen, wie diese Welt und wie wir Menschen funktionieren.
Paulus aus meiner psychotherapeutischen Sicht
Mich als Arzt und Psychotherapeut interessiert: Konnte das Heilsversprechen
von Paulus in der mittlerweile 2000-jährigen Geschichte des Christentums
eingelöst werden? Oder hat die Theologie von Paulus möglicherweise dazu
beigetragen hat, das Leiden in der Welt zu vermehren – ein Vorwurf, den vor
allem Atheisten gegen das Christentum und andere Religionen erheben? Und:
Welche Aspekte der Theologie und Glaubenspraxis von Paulus sind heute noch zeitgemäß
und können heilsame Wirkungen erzielen? Wie gehe ich als Therapeut angemessen
mit Themen und Problemstellungen um, die etwas mit dem christlichen Glauben
meiner Patienten oder ihrer Zugehörigkeit zu einer christlichen Gemeinschaft zu
tun haben?
Eine Grundannahme großer Teile
des antiken Judentums und der frühen Christenheit einschließlich Jesus, Petrus,
Jakobus und Paulus war, dass das Ende
der irdischen Welt und das aktive Eingreifen Gottes unmittelbar bevorstehe. Diese
Erwartung hat sich ganz offensichtlich nicht erfüllt. Es wird immer schwerer
daran zu glauben, dass Jesus wiederkommen und das Reich Gottes auf
übernatürliche Weise errichtet wird.
Das einst übermächtige Argument der Vergänglichkeit
alles Weltlichen hat seine Überzeugungskraft verloren. Die Gesetze von Materie,
Raum und Zeit, von menschlicher Triebstruktur und Motivation, von
wirtschaftlichen und politischen Machtverhältnissen zeigen sich als überaus
dauerhaft. Sie sind wissenschaftlich erforschbar, faszinierend, praktisch
vielfach nutzbar und über alle Maßen erfolgreich. Wie Paulus das „Fleisch“ (sarx)
in der Lebenspraxis ständig gegen den „Geist“ (pneuma) auszuspielen und total
zu entwerten, funktioniert nur noch um den Preis massiver Realitätsverleugnung und
seelischer Deformierung (wie sie sich derzeit z.B. im skandalösen Umgang der
katholischen Kirche mit dem durchaus „fleischlich“ motivierten Machtmissbrauch
vieler Amtsinhaber und dem Leiden der Opfer zeigt).
Trotz allem war Paulus überaus
pragmatisch. Religion ist etwas durch und durch Praktisches. Sie muss im Alltag
der Gläubigen funktionieren. Ansonsten kann sie nicht bestehen. 2000 Jahre
Geschichte haben gezeigt: Paulus schuf mit den genialen theologischen
Konstrukten in seinen Briefen und mit seinen lebenspraktischen Anweisungen an
die Gemeinden eine überaus taugliche Grundlage für die rasante Ausbreitung des
neuen Jesusglaubens innerhalb des römischen Imperiums und später in der ganzen
Welt.
Paulus‘ überragende Leistung
war, die Jesusbotschaft, die ursprünglich eine innerjüdische Angelegenheit war,
für die ganze Welt zu öffnen. Das gelang ihm durch die Relativierung des
Stellenwertes der mosaischen Gesetze und der konsequenten Freistellung von
Nichtjuden, sie befolgen zu müssen. Jeder konnte Christ werden, egal ob Jude
oder Grieche, reich oder arm, Mann oder Frau, frei oder unfrei. Das war umfassende
Solidarität, Eine-Welt-Ethik, Toleranz und Inklusion im besten modernen Sinn.
Aber der unnachgiebige pharisäische
Eifer, mit dem Paulus ehemals Christen verfolgt hatte, beherrschte ihn auch als
Apostel. Radikal verunglimpfte und bekämpfte er alles, was seinen ethischen Überzeugungen
widersprach, vor allem freizügige Sexualität, Sinnenfreude und die Verehrung
anderer Gottheiten. Paulus wähnte sich selbst und seine Überzeugungen von Gott
inspiriert und duldete keine anderen Meinungen. Aus heutiger Perspektive war er
ein Fundamentalist. Viel Unrecht und Leid, was im Laufe der Geschichte von den
Kirchen ausging, scheint im Dogmatismus von Paulus seinen Ursprung zu haben.
Paulus hat vom Anfang seiner selbst
gewählten Mission an ein gewaltiges Maß an Widerstand gegen seine
Kompromisslosigkeit erfahren. Aber er hat auch zunehmenden Zuspruch bekommen
und wurde im Laufe der Zeit immer erfolgreicher. Für mich als Psychotherapeut
stellt sich die Frage, welche vitalen menschlichen Bedürfnisse Paulus mit
seiner Botschaft und mit seinem besonderen Verhalten nachhaltig befriedigte, sodass
er zu einer der einflussreichsten Figuren der abendländischen Geistesgeschichte
werden konnte.
Paulus strahlte ein absolutes
und unerschütterliches Vertrauen in Gott sowie in die unzweifelhafte Gottgewolltheit,
Richtigkeit und Notwendigkeit seiner Mission aus. Wir nennen eine solche
Haltung heute Fanatismus und wissen, dass sie auf bestimmte Persönlichkeitsstrukturen
eine große Anziehung ausübt. Die ersten, die Paulus mit seiner Botschaft binden
konnte, waren die Entrechteten, Unterdrückten und Benachteiligten der antiken
römisch-griechischen Gesellschaft. Unter ihnen waren viele, denen nicht einmal
ihr eigener Körper gehörte, deren Körper täglichen Arbeitsstrapazen ausgesetzt
war und die an der hellenistischen Sinnenfreude nur wenig Anteil haben durften.
Es waren die, deren Selbstwertgefühl täglich mit Füßen getreten wurde und die
so gut wie keine Aussicht hatten, in dieser Welt so etwas wie privates Glück zu
erleben.
Paulus erklärte ihre
verzweifelte körperliche Existenz für unbedeutend, weil sie ohnehin in einem
Inferno untergehen würde. Er lud sie in eine Vorstellungswelt ein, in der sie
von ihren materiellen Fesseln befreit und im Einswerden mit dem auferstandenen
Christus selbst zu unsterblichen göttlichen Wesen würden. Paulus selbst verkörperte
mit der faszinierenden Geschichte seiner eigenen Transformation den neuen
Menschen, zu dem jeder durch die Kraft des Glaubens an Christus werden könne. Mit
jedem Wort, mit jeder Geste strahlte Paulus aus, dass das, von dem er sprach,
wirklich wahr sei.
Man muss sich nur auf einen
der begabten freichristlichen Prediger einlassen, die heute vor großem Publikum
und oft sogar im Fernsehen von dieser Wirklichkeit sprechen, um eine
Vorstellung von der Suggestivkraft von Paulus zu bekommen. Auch ich selbst war
in einer verzweifelten Phase meines Lebens empfänglich für freichristliche
Heilsversprechen. Ich erlebte ein großes Maß an Anteilnahme, Beistand und
Wohlwollen durch einen Pastor und andere Mitglieder einer freichristlichen
Gemeinde, was mir damals wirklich sehr geholfen hat. Trotzdem blieb ich von
bestimmten christlichen Glaubenssätzen immer sehr befremdet, vor allem von der
Doktrin des gottgewollten Sühnetodes von Jesus.
Paulus begründet
in seinen Briefen das vergossene Blut Christi mit der Heilssendung von Jesus
durch Gott. Paulus gelang das Kunststück, das schreiende, geradezu skandalöse
Unrecht des Todes von Jesus als Ausdruck der Liebe und Gerechtigkeit Gottes hinzustellen.
Der unschuldige Jesus stirbt laut Paulus stellvertretend für uns – seit Adam unausweichlich
schuldige – Menschen einen Sühnetod. Jesus opfert sich bereitwillig für unsere Sünden, damit wir – völlig
unverdient – wieder
mit Gott versöhnt werden können.
Doch das schändliche
Zerbrechen eines Menschen am Kreuz, dessen Anhänger behaupten, er sei der
Messias, der Christus, der lang ersehnte Erretter, klang schon für antike Ohren
derartig widersinnig, dass sich Paulus noch etwas weiteres einfallen musste. Paulus
spricht selbst von der „Torheit des Kreuzes“ und vollzieht dann einen theologischen
Salto, um den Tod von Jesus vor dem Hintergrund des Alten Testaments plausibel
erscheinen zu lassen: Die Torheit des Kreuzes sei die Weisheit Gottes, die
Weisheit Gottes erscheine den Menschen als Torheit. Menschliche Weisheit ende,
damit Gottes Weisheit beginne. Gott sei und bleibe ein Geheimnis (1 Kor 1,18 – 2,16).
Schon vor 2000
Jahren konnten die meisten Zeitgenossen von Paulus einem solchen Bewusstsein spaltendenden
Verrat an der menschlichen Vernunft nicht folgen. Seit zwei Jahrtausenden
müssen Menschen ihren gesunden Menschenverstand unterdrücken, um dieses
Konstrukt von Paulus glauben zu können. Dabei bin ich davon überzeugt, dass es durchaus
Wirklichkeits- und Erfahrungsbereiche gibt, die sich von unseren Sinnen und
unserem Verstand nicht oder nur unvollständig erfassen lassen. Ich nehme zum
Beispiel die Vision des auferstandenen Jesus als eine intensive Erfahrung, die
sich nach Jesu Tod Hunderte von Menschen teilten, durchaus ernst. Auch das
Damaskus-Erlebnis von Paulus oder die mystischen Erfahrungen vieler heutiger Menschen
gehen über das hinaus, was sich mit rein psychologischen Begriffen befriedigend
erklären ließe.
Aber wenn ich wie
Paulus an die unbedingte Güte, Liebe, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und
Weisheit eines allmächtigen Gottes glauben wollte, würde mir das ein hohes Maß
an Verleugnung abverlangen. Ich müsste die überwältigenden kollektiven
Erfahrungen von 2000 Jahren Menschheitsgeschichte vollkommen ausblenden (zum
Beispiel die Weltkriege, Auschwitz und andere große und kleine Katastrophen), ebenso
die absurden selbstzerstörerischen Dynamiken unserer heutigen Zeit.[10]
Ich kann mir wie Jesus und Paulus Gott als Inbegriff von Güte, Liebe und
Gerechtigkeit durchaus vorstellen, aber nicht verbunden mit Allmacht.[11]
Was spricht
gegen die Anerkennung des empirisch Offensichtlichen, dass der oder das, was
wir Gott nennen, schlicht und einfach über keine Machtinstrumente verfügt, mit
denen es/er direkt ins Weltgeschehen eingreifen könnte? Wenn ich Gott nicht als
allmächtig ansehe, dann muss ich keine kognitiven Verrenkungen machen, um den
Kreuzestod von Jesus, das kollektive Martyrium in den Weltkriegen und in
Auschwitz mit der Existenz von etwas Göttlichen zu vereinbaren. Gott wird für
mich durch die Akzeptanz seiner relativen Ohnmacht nicht etwa überflüssig, sondern
überhaupt erst glaubhaft.
Einem Gott,
der uns Menschen ebenso sehr braucht wie wir ihn, um in der raum-zeitlichen Welt
zu wirken, kann ich mich viel eher verbunden fühlen als einem Allmächtigen. Das
ist übrigens gar nicht so weit weg von dem, was auch Paulus lehrte. Nach Paulus
kann sich der Geist Gottes nur dann wirksam entfalten, wenn sich der Gläubige bei
der (Erwachsenen-)Taufe völlig für den Geist öffnet. Der Getaufte stirbt dann symbolisch
mit Jesus, um wie Jesus von Gott in einen neuen Menschen transformiert zu
werden. Der neue Adam wird nicht mehr von seiner Triebstruktur und soziokulturellen
Konditionierungen dominiert, sondern wird mit dem unsterblichen Christusgeist eins.
Damit verändert sich auch das Verhalten grundlegend: der neue Mensch stellt sich
bereitwillig und voller Hingabe in den Dienst der höchsten Ideale, die Gott verkörpert.
Er handelt aus Liebe und muss sich nicht mehr an die Buchstaben des Gesetzes
klammern.
Diese Botschaft von Paulus hat zahllose Menschen beflügelt. Sie hat sie befähigt,
Gemeinschaft zu pflegen und Gutes zu tun. Die Idee der Einswerdung mit Christus
wirkt bis heute auf viele Menschen tröstlich und ermutigend. Sie kann heilsam
sein und von Angst befreien. Aber sie kann auch zu Heuchelei und zur Inszenierung
eines falschen Selbst führen. Paulus selbst war sich immer bewusst, dass trotz
seiner eigenen Transformation auf dem Weg nach Damaskus seine alte Antriebs-
und Motivationsstruktur noch immer vorhanden war. Es ging Paulus wohl nicht
anders wie Menschen heute, die intensive spirituelle Erleuchtungerfahrungen
machen und erkennen müssen, dass sie trotzdem in alten Mustern gefangen bleiben.
Paulus war wie viele vor ihm und nach ihm, die sich ernsthaft auf einem
spirituellen Weg befinden, entschlossen, sich von alten Antrieben,
Konditionierungen und Mustern zu befreien. Wie viele vor ihm und nach ihm sah
er den erfolgversprechendsten Weg darin, die Macht körperlicher Lust zu
überwinden. In der Tat lässt sich ein zügelloser Hedonismus kaum mit der
Verwirklichung ideeller Werte vereinbaren. Und wer wollte bestreiten, dass starke
geistige Kräfte freigesetzt werden können, wenn sich Menschen in Enthaltsamkeit
üben? Aber Paulus schüttet das Kind mit dem Bade aus. Alles Böse und Verwerfliche
geht für ihn vom Leib aus.
Zwar soll bei Paulus der Leib dem Geist als Tempel dienen. Hinter dieser
wohlklingenden Formel verbirgt sich der Anspruch, dass die Gläubigen ihren ansonsten
wertlosen (weil ohnehin vergänglichen und seit Adam mit unausweichlicher Sünde
infizierten) Körper in der gleichen Weise instrumentalisieren, wie es Paulus
mit seinem Körper tat. Es überrascht nicht, dass Paulus offensichtlich an
heftigen psychosomatischen Beschwerden litt[12],
so wie auch Menschen heute, die ihren Körper allzusehr nur als Mittel zum Zweck
einsetzen, zu psychosomatischen Erkrankungen neigen.
Wegen seiner sündigen Natur steht der Leib für Paulus dem Wirken Gottes im
Weg. Der Geist, durch den Gott wirkt, ist alles. Der Körper, der noch nicht in
einen soma pneumatikon transformiert ist, gilt Paulus nichts. Agape und alle
Fürsorge gelten nur den anderen Menschen. Der eigene Körper und die eigene
Bedürfnisstruktur verdienen keine Beachtung. Die eigenen Bedürfnisse werden –
psychodynamisch gesprochenen – verleugnet und abgespalten.
Das Fatale dabei ist, dass menschliche Bedürfnisse in ihrem inneren Exil
in der Regel nicht etwa zur Ruhe kommen, sondern weiter gären und sogar zu
höchster Dringlichkeit anwachsen können. Da aber die leiblichen Bedürfnisse in
ihrer höchsten Dringlichkeit mit dem Idealbild des neuen Adam nicht vereinbar
sind und starke Schuldgefühle auslösen, müssen sie mit erheblichem psychischem
Abwehraufwand aus dem Bewusstsein verdrängt werden.
Wenn dringende Bedürfnisse an ihrer Befriedigung gehindert werden, geht
das in der Regel mit negativen Affekten, zum Beispiel mit Wut einher. Doch
negative Affekte passen nicht zum neuen Adam. Auch sie müssen abgewehrt werden.
Ein häufiger und klinisch sehr
relevanter Abwehrmechanismus ist die Wendung von Aggression gegen das eigene
Selbst: Meine Wut richtet sich nicht gegen den, der sie eigentlich verdient,
nämlich den, der die Befriedigung meiner Bedürfnisse verhindert. Stattdessen richte
ich meine Wut gegen mich selbst. Ich klage mich selbst an. Ich entwerte und
hasse mich. Ich behandele mich selbst schlecht und rücksichtslos. Ich quäle und
bestrafe mich. Ich entwickele psychosomatische Symptome, unter denen ich leide.
Mein Leiden hat immerhin den Vorteil, dass meine quälenden Schuldgefühle
gelindert werden. Der größte Vorteil aber besteht darin, dass sich die
Beziehung zu einem wichtigen Anderen aufrechterhalten kann, obwohl er die
Befriedigung wichtiger Bedürfnisse verhindert und damit der eigentliche
Verursacher meines Leidens ist. Dieser wichtige Andere kann zum Beispiel der vordergründig
unendlich gütige und gerechte Gott sein, den Paulus in seinen Briefen
vermittelt. Er ist aber auch der Gott, der absoluten Glaubensgehorsam von mir einfordert.
Er ist der Gott, der mich untergehen lässt, wenn ich diesen Glaubensgehorsam
nicht leisten kann oder will. Er ist der Gott, der von mir völlige
Selbstaufgabe verlangt. Ein Teil von mir wird Gott dafür hassen. Aber meine
Aggression darf mir nicht bewusst werden. Indem ich sie unbewusst gegen mich
selbst wende, halte ich sie von Gott fern und gefährde nicht meine Beziehungzu
Gott.
Ein weiterer
wichtiger Mechanismus trägt dazu bei, dass meine Beziehung zu Gott weitergehen
kann, obwohl er wichtigen Bedürfnissen von mir im Weg steht. Es handelt sich um
den Mechanismus der (externalisierenden) Projektion. Alles „Böse“, was mich von
Gott trennen könnte, einschließlich meiner negativen Affekte, verlege
(projiziere) ich unbewusst in einen Außenstehenden. Bei Paulus ist dieser Außenstehende
Satan, die personifizierte Sünde. Fatalerweise hat bei Paulus Satan Macht über meinen
Körper. Damit wird mein Körper zu etwas Äußerem, von mir Getrennten, gewissermaßen
zu meinem Feind. Diesen Feind muss ich – ganz im Sinne der Wendung meiner
Aggression gegen mich selbst – bekämpfen.
Paulus ist oft
vorgeworfen worden, er sei – im Gegensatz zu Jesus – leibfeindlich,
todessüchtig und sündenfixiert. Er verkünde einen grausamen Gott. Der Gott von
Paulus sei in seinem mörderischen Zorn über den Ungehorsam und die Untreue der
Menschen, besonders aber seines auserwählten Volkes, nur durch äußerste
Selbstdemütigung zu besänftigen. Dass Gott seinen eigenen Sohn opfert, um die
Sünden der Menschen zu sühnen, dass Jesus die unvorstellbaren Qualen des
Kreuzes auf sich nimmt, dass Paulus sich selbst voller Stolz den äußersten
Strapazen, Bestrafungen und Todesgefahren aussetzt, das alles ist aus psychodynamischer
Perspektive Sadomasochismus pur. Sadomasochismus ist eine höchst ambivalente, aber besonders intensive
Form von Bindung, man könnte auch sagen von Liebe.
Darum genau geht es im Alten
wie auch im Neuen Testament: um Bindung (alter und neuer Bund) und Liebe
zwischen Gott und Mensch und Mitmensch. Kann die Beziehung zu einem allmächtigen
Gott, der das Leiden und Unrecht in der Welt zuzulassen scheint, je anders sein
als höchst ambivalent? Ich sehe hier eine starke Parallele zur Ambivalenz von
Kindern, die von ihren Eltern nicht ausreichend versorgt, nicht ausreichend
geschützt oder sogar von ihren Eltern selbst traumatisiert wurden. Ein Kind
erlebt seine Eltern in der Regel als mächtig. Es kann noch nicht die eigene Not
der Eltern, ihre strukturellen Defizite[13] und ihre Ohnmacht erkennen.
Gleichzeitig ist das Kind existenziell derart angewiesen auf die Eltern, dass
es die Beziehung zu den Eltern nicht gefährden kann. Der Hass auf die Eltern
und das Fühlen der Bedürfnisse (zum Beispiel nach emotionaler Sicherheit und
Geborgenheit), die von den Eltern nicht befriedigt werden (können), müssen
abgespalten werden. In ihrem inneren Schattendasein wachsen sie – vom Bewusstsein
unkontrolliert – zu großer Dringlichkeit an.
Wenn sich später im
Erwachsenenleben die Mitmenschen, zum Beispiel der Partner, als unfähig
erweisen, diese unerfüllten, ursprünglich kindlichen und äußerst dringlichen
Bedürfnisse zu befriedigen, liegt es nahe, ihre Erfüllung durch einen Gott zu
erhoffen, den man als allmächtigen Vater ansieht. Genau eine solche kindhafte
Erwartung an Gott charakterisiert viele Mitglieder in freichristlichen
Gemeinden. In der Regel ermutigen freichristliche Prediger solche Erwartungen.
Sie stellen den Gläubigen in Aussicht, dass Gottvater alle möglichen
Bedürfnisse, zum Beispiel den Wunsch nach einem Auto, das man sich eigentlich
nicht leisten kann, früher oder später erfüllen wird. Man muss nur intensiv
genug und in kindlicher Reinheit an ihn glauben und bitten. Oft betet die ganze
Gemeinde oder wenigstens ein Hauskreis, dass Wünsche in Erfüllung gehen.
Natürlich bleiben viele
unrealistischen Wünsche, zum Beispiel dass jemand von einer fortgeschrittenen
Krebserkrankung geheilt wird, unerfüllt. Doch für diese Fälle ist mit der
Formel von der Unergründlichkeit von Gottes Wegen (Röm 11: 33-36) dafür
vorgesorgt, dass der Glaube an die Allmacht Gottes nicht in Frage gestellt
werden muss. Ich sagte schon, dass die Aufrechterhaltung des Glaubens an Gottes
Allmacht ein hohes Maß an Verleugnung erfordert. Aber der Glaube an einen
mächtigen, liebenden und gerechten Vater im Himmel scheint für bestimmte
Menschen so viele Vorteile zu besitzen, dass sie diesen Glauben nicht aufgeben
und sogar noch andere für ihren Glauben gewinnen können.
Für welchen Typ von Mensch hat
der Glaube an einen mächtigen, liebenden und gerechten Gottvater welche
Vorteile? Das ist eine psychologische Frage. Ich versuche sie auf der Grundlage
dessen, was ich schon gesagt habe, mit psychologischen Begriffen, zu
beantworten. Ein großerVorteil besteht darin, dass Menschen, die objektiv wenig
Aussicht auf ein gutes Leben haben, trotzdem in ihrer Hoffnung bestärkt werden,
alles werde sich doch noch zum Guten wenden. Hoffnung, vor allem wenn sie
kollektiv (zum Beispiel in der Gemeinde) bestärkt wird, ist ein starkes Antidepressivum
und Anxiolytikum. Hoffen zu können, hoffen zu dürfen, ist wirklich eine Gnade, solange
diese Hoffnung nicht missbraucht wird.
Der Gläubige hat durch seinen Glauben
an der Herrlichkeit des allmächtigen, allwissenden, gütigen und gerechtenGottes
teil. Wie bei den Sklaven in Antiochia, unter denen Paulus seine ersten
Anhänger rekrutierte, wird das gedemütigte Selbstwertgefühl aufgerichtet. Zudem
bringt die von Paulus vermittelte Vorstellung vom Einswerden mit Jesus Christus
den Gläubigen in unmittelbare Nähe zu Gott. Er wird von Gott ganz persönlich
gesehen und gekannt. Was für eine Gratifikation für einen beschädigten
Narzissmus! Der Glaube an Gott, den allmächtigen guten Vater, hat insofern vor
allem Vorteile für die Benachteiligten und Geringgeschätzten dieser Welt.
Ein allmächtiger Gott
entlastet mich zudem von meiner Verantwortung. Es genügt, dass ich glaube,
bete, Gebote achte, mich unterordne und meinen Dienst in der Gemeinde verrichte.
Alles andere liegt in Gottes Hand und vielleicht noch im Aufgabengebiet des
Pastors und der Ältesten der Gemeinde. Eine solche Haltung ist charakteristisch
für Menschen mit einem abhängigen Persönlichkeitsstil. Ihr Selbstverständnis
ist: Ich bin klein und schwach. Alleine bin ich hilflos. Ich bin angewiesen auf
andere, die stärker und fähiger sind als ich. Solche Menschen sind
anpassungsbereit und wehren alles ab, was die Beziehung zu wichtigen Anderen
gefährden könnte. Dazu gehören vor allem negative Affekte und unerwünschte
Impulse. Sie sind Meister der Verleugnung von allem, was sie von anderen
trennen könnte. Sie sind die idealen Mitglieder fundamentalchristlicher
Gemeinschaften und Sekten.
Wenn ich die Briefe von Paulus
lese, dann spüre ich seine innige Verbundenheit mit den Gemeinden, die er
gegründet hat, und seine Verbundenheit mit den Mitgliedern in diesen Gemeinden.
Allerdings ist seine Liebe eine durch und durch patriarchalische und – so wie
die des alttestamentarischen Jahwe gegenüber seinem auserwählten Volk – eine eifersüchtige.
Paulus verlangt unbedingte Gefolgschaft. Alles was seiner Botschaft
widerspricht, kann vor Gott nicht bestehen. Paulus verflucht erbarmungslos
seine Widersacher. Wer seine Moral nicht teilt, muss aus der Gemeinde
ausgeschlossen werden. Seine Ablehnung anderer Gottheiten und Religionen ist
rigoros.
Vieles von dieser paulinischen
Radikalität ist auch heute noch – hinter einer vordergründigen Fassade von
Weltoffenheit und Toleranz – in den freichristlichen Gemeinden, die ich
kennengelernt habe, zu spüren. Der Islam ist Teufelswerk. Eine Buddhafigur im
Wohnzimmer ein Götzenbild. Wer nicht an Jesus Christus als Gottes auferstandenen
Sohn glauben kann, ist für das ewige Leben verloren. Hinter verschlossenen
Türen, im kleineren Kreis, können die Sprache und die Metaphern ähnlich
gewalttätig werden wie in den Briefen von Paulus. Ich selbst bekomme
körperliche Schmerzen, wenn ich höre, dass alle verflucht und verloren sind,
die den freichristlichen Glaubensformeln nicht folgen können. Aber ich habe beobachtet,
dass genau das, was mir Schmerzen bereitet, auf andere Menschen stabilisierend
und heilsam wirkt. Für für welchen Menschentyp hat ein einfaches, geschlossenes
und gegen alle Zweifel immunisiertes Weltbild Vorteile? Ich denke hier vor
allem an emotional instabile Menschen.
Emotional instabile Menschen
haben in ihrer frühen Kindheit mit ihren Eltern oder anderen wichtigen Bindungspersonen
typischerweise stark widersprüchliche Beziehungserfahrungen gemacht. Das
Bindungsverhalten der Mutter wechselte zum Beispiel abrupt von
überschwänglicher Zuwendung zu eisiger Ablehnung. Häufig litten ein Elternteil
oder beide Eltern an schweren Erkrankungen, die eine zuverlässige und
konsistente Zuwendung zu ihren Kindern verhinderten. Viele Fähigkeiten der
Interaktion und Selbststeuerung, die andere Menschen in ihrer Kindheit ganz
selbstverständlich implizit lernen, konnten emotional instabile Menschen nicht
erwerben. Ihr Bindungsverhalten ist hochgradig unsicher und ambivalent. Ihr
Selbstwertgefühl ist von ständigen Einbrüchen gefährdet. Sie können ihre
Impulse und Affekte nicht gut steuern.
Emotional instabile Menschen
haben eine große Sehnsucht, mit einem idealen Anderen zu verschmelzen. Sie neigen
dazu, sich überstürzt und ungeschützt auf Beziehungen, auch auf sexuelle
Kontakte, einzulassen. Um das Gefühl von Verschmolzenheit leichter und
schneller erleben zu können, greifen sie gerne zu Alkohol und Drogen. Gleichzeitig
haben sie infolge ihrer brüchigen Beziehungserfahrungen kein stabiles inneres
Bild von einem verlässlichen, guten und wohlwollenden Anderen. Sie sind
gewissermaßen immer auf der Hut, weil sie damit rechnen, dass sie wieder – so
wie in ihrer Kindheit – enttäuscht werden. Kleine Störungen in der Beziehung
werden als Kränkung oder Verrat erlebt. Sie brechen den Kontakt zu Menschen ab,
die sie gerade noch idealisiert haben und mit denen sie sich eben noch innigst
verbunden gefühlt haben. Die Idealisierung schlägt in Entwertung um.
Emotional instabile Menschen
haben nicht selten eine Drogenkarriere und eine Vielzahl promisker Beziehungen
hinter sich. Eine fundamentalistiche Gemeinschaft kann ihnen den Halt und die
Struktur bieten, die sie in sich selbst nicht finden. Besonders angezogen
werden sie von charismatischen, von ihrer Sache vollkommen überzeugten Leiterpersönlichkeiten,
die sich für eine Idealisierung anbieten. Solange die kollektive Idealisierung des
Leiters aufrechterhalten werden kann, gibt er der Gemeinschaft und den
einzelnen Gemeindemitgliedern ausreichende Orientierung, Führung und
Stabilität. Wenn ein ethisch integrer Leiter seine Position weder sexuell noch
finanziell noch narzisstisch missbraucht, kann er für die Gemeinde ein Segen
sein.
Paulus ist der Inbegriff einer
fundamentalchristlichen Leiterpersönlichkeit. Mit seiner Glaubenskraft, seinem
unerschöpflichen Engagement, seinem unerschütterlichen Sendungsbewusstsein und
seiner völligen Rücksichtslosigkeit gegenüber seiner eigenen Gesundheit setzte
er Glaubenssätze und Glaubenspraktiken durch, die zu Anfang seiner Mission weder
für Juden noch für Heiden akzeptabel waren. Mit seinem persönlichen Wirken und
mit seinen Briefen gab er zu seinen Lebzeiten Tausenden von Menschenund
schließlich der gesamten Christenheit bis heute Orientierung und Führung. Ohne
Paulus gäbe es kein Christentum. Das Christentum hätte aber auch nicht
überleben können, wenn es neben und nach Paulus nicht anderen Vertretern dieses
Glaubens gelungen wäre, die Dinge in Theorie und Praxis bei weitem nicht zu eng
zu sehen wie er. Nur so konnten und können Hunderte Millionen gesunder Menschen,
ohne besondere Persönlichkeitspathologie, ganz selbstverständlich und ohne
größere Konflikte Christen sein.
Ich komme zurück auf meine
eingangs gestellte Frage: Konnte das Heils-versprechen von
Paulus eingelöst werden oder hat Paulus das Leiden in der Welt noch vermehrt? Es
trifft wohl beides zu. Chilton sieht (in einem persönlichen Schreiben an mich) einen
Zusammenhang zwischen der Vehemenz, mit der Paulus
seine Überzeugungen gegen seine jüdischen Glaubensbrüder vertrat und der
späteren religiösen Gewalt, die von der Kirche ausging.
Chilton glaubt sogar, dass Paulus antisemitische Ressentiments als mögliche
Folge seiner radikalen Polemik gegen Andersdenkende zum Teil voraussah. Im
Römerbrief (Kapitel 9-11) habe er sich daher bereits selbst korrigiert und das
Judentum ausdrücklich gewürdigt. Aber Paulus‘ Selbstberichtigung sei in tragischer
Weise von der zunehmend nichtjüdischen Kirche ignoriert worden. Die Kirche habe
ihre Identität immer mehr durch das definiert, was nicht zu ihr gehört. Das
ursprüngliche Prinzip der Inklusion verkehrte sich immer mehr in einen fundamentalistischen,
exklusiven Wahrheitsanspruchs. Fundamentalismus mit sozialer Ausgrenzung von allen,
welche die eigene Ideologie nicht teilen, beobachtet Chilton auch heute: von Washington
über Jerusalem, Teheran und Delhi bis nach Rangoon.
Praktische Konsequenzen
In der Wiesbadener Akademie für
Psychotherapie, an der ich seit 1996 lehre, hat die Einbeziehung religiöser,
spiritueller und weltanschaulicher Fragen in die psychotherapeutische Anamnese
und Behandlungsplanung eine lange Tradition. Denn in vielen Menschen – auch bei
solchen, die keiner Kirche oder Konfession angehören – gibt es ein tief
verwurzeltes Gefühl, dass die sichtbare („objektive“) raumzeitliche Wirklichkeit
nicht die einzige ist. Dazu kommt das verbreitete Bedürfnis, die Grenzen der
bekannten Erfahrungsmöglichkeiten zu überschreiten und zu erweitern. Verbunden
damit ist oft der Wunsch, mit der anderen Wirklichkeit in Kontakt zu treten.
Nach unserer Erfahrung können Kirche, Religion
und Spiritualität wertvolle Ressourcen sein, die bei der Krankheitsbewältigung
therapeutisch gut genutzt werden können. Für Patienten, die in ihrer
Problemtrance gefangen sind, deren Gedanken unaufhörlich und unfruchtbar um die
immer wieder gleichen ungelösten Fragen kreisen und die sich daher nie
entspannen können, kann ein spiritueller Erfahrungsraum – sei er nun durch
Leere und Stille oder durch Bilder und andere sinnliche Erlebnismöglichkeiten
gekennzeichnet – heilsam sein. Die Patienten können von ihrem inneren
Konfliktdilemma defokussieren. Sie
können ihre Aufmerksamkeit Ritualen, Narrativen, inneren Erfahrungen und
Bildern zuwenden, die ihnen – wenigsten vorübergehend – Erleben von Trost, innerem
Frieden, Geborgenheit, Verbundenheit und Konsistenz ermöglichen. Auch
Erfahrungen von Ekstase, tiefer Erkenntnis und gesteigerte Lebensenergie sind
nicht selten.
In dem Lehrbuch „Praktischer Leitfaden der tiefenpsychologisch fundierten
Richtlinientherapie: Wissenschaftliche Grundlagen, Psychodynamische
Grundbegriffe, Diagnostik und Therapietechniken“, das ich mit Arno Remmers
im Deutschen Psychologen Verlag herausgegeben habe und an dem auch andere
erfahrene Dozenten der WIAP mitgewirkt haben, empfehlen wir:
- Als Psychotherapeuten gewinnen wir das Vertrauen religiöser oder spirituell interessierter Patienten am besten, wenn wir uns ohne Wertung für ihre Erfahrungen und Einstellungen interessieren. Die gleiche Offenheit ist im Übrigen auch einer atheistischen oder agnostischen Weltanschauung entgegenzubringen.
- Auch wenn wir selbst „religiös unmusikalisch“ sind, können wir die spirituellen Gefühle und Bedürfnisse unserer Patienten ebenso wertschätzend behandeln, wie wir als Therapeuten mit anderen menschlichen Antrieben und Motivationen (Bindung, Zugehörigkeit, Versorgung, Sicherheit, Kontrolle, Sexualität, Besitz, Macht usw.) umzugehen gelernt haben.
- Wir werden als Kassentherapeuten selbst eher keine spirituellen Angebote machen. Aber wir können uns dafür interessieren, welche spirituellen Erfahrungen unsere Patienten schon gemacht haben, welche Rolle Religion in ihrer Herkunftsfamilie spielte oder wer in ihrem sozialen Umfeld in welcher Weise spirituell aktiv ist. Versuchen wir, möglichst neutral und wertfrei zu bleiben!
- Wenn wir selbst schlechte Erfahrungen mit spirituellen Angeboten, Religion oder Kirche gemacht haben, bedeutet das nicht, dass Spiritualität, Religion oder Kirche auch für unsere Patienten schädlich sind. Wenn wir gute Erfahrungen mit unserer Art von Spiritualität gemacht haben, bedeutet das nicht, dass auch unsere Patienten von unserer Form von Spiritualität profitieren. Versuchen wir in der Therapie nicht, unsere Patienten im Sinne unserer eigenen religiösen, atheistischen oder sonstigen spirituellen und weltanschaulichen Ansichten zu beeinflussen.
- Wir unterstütze unsere Patienten am besten, indem wir versuchen, ihre Erfahrungen, ihren Glauben oder Unglauben aus der Innenperspektive unserer Patienten heraus zu verstehen und das, was ihnen eventuell heilig ist, so gut es geht zu ehren. Das ist mitunter schwer, vor allem wenn unsere Patienten eine fundamentalistische und intolerante Glaubensposition vertreten.
- Stellen wir diese Überzeugungen aber nicht voreilig in Frage, selbst dann nicht, wenn sie der Lösung wichtiger Probleme und Konflikte im Wege zu stehen scheinen. Denn rigide Glaubenssätze oder die Mitgliedschaft in einer dogmatischen Glaubensgemeinschaft erfüllen unbewusst oft die Funktion, strukturelle Defizite zu kompensieren. Sie stabilisieren das Selbstsystem, zum Beispiel indem sie ein Gefühl von Identität, Orientierung und Kontrolle geben.
- Wir können fest gefügte und dysfunktionale weltanschauliche und religiöse Überzeugungen am ehesten implizit korrigieren: Wir werden aufgrund unseres eigenen Menschen-, Gottes- und Weltbildes sowie unserer eigenen spirituellen Erfahrungen mit unseren Patienten und deren Nöten in einer bestimmten Weise (zum Beispiel geduldigen, freundlichen, wertschätzenden, anteilnehmenden, optimistischen und ermutigenden) umgehen. Fühlt sich diese Umgangsweise für unsere Patienten gut an, werden sie mit der Zeit vielleicht das Bedürfnis entwickeln, sich immer mehr an unserem Vorbild zu orientieren.
- Unsere Patienten können mit unserer Hilfe verschiedene Arten und Wege von Glauben und Spiritualität kennenlernen, diese besser verstehen, offener und toleranter werden.
- Sie können mit unserer Unterstützung behutsam die inneren und äußeren Kosten und den Nutzen spezifischer Glaubensinhalte und -praktiken erforschen und nach und nach das für sie passende Angebot entdecken.
Alle meine Blogbeiträge
[1] Siehe: Hark
H, 1984: "Religiöse Neurosen. Ursachen und
Heilung", Stuttgart. Der Begriff leitet sich von dem
lateinischen Wort "ecclesia" (= Kirche) ab. Er wurde erstmals von erstmals von
Eberhard Schaetzing (1955: "Die ekklesiogenen Neurosen",
in: Wege zum Menschen 2, 7) verwendet.
[2] Tora bedeutet Gesetz oder Lehre. Die Tora umfasst die fünf
Bücher Mose des Alten Testaments. Das gesamte Alte Testament heißt hebräisch
"Tanach". Im Laufe der
Jahrhunderte wurde die Tora in vielfältiger Weise ausgelegt und kommentiert.
Diese Interpretationen bilden den Talmud.
Er besteht aus zwei Teilen: der Mischna (wörtlich: Wiederholung) und der Gemara
(wörtlich: Vervollständigung). Die Mischna
ist die frühe schriftliche Sammlung der (bis zur Zerstörung Jersualems und des
Tempels im Jahr 70 nur mündlich überlieferten) Kommentare zur Tora. Die Gemara enthält ergänzende Regeln für
die verschiedensten Bereiche jüdischen Lebens und religiöse Rituale. Die
Traditionen und Regeln des Talmuds, welche bestimmen, was verboten und was
erlaubt und was rein und was unrein ist, heißen Halacha (wörtlich: Gehen). Dagegen werden die Erzählungen,
Legenden, Dichtungen, Gleichnisse und Sprichwörter im Talmud, welche die
ethischen Regeln der Halacha lebensnah veranschaulichen, als Haggada (von „lehaggid“ = erzählen)
bezeichnet. Die Haggada sollte vor allem die Herzen ansprechen, erbauen und
ermutigen und war bei den Zuhörern entsprechend beliebt. Sie vermittelte den
Gläubigen, wie sie in Harmonie mit Gott und den Mitmenschen leben konnten. Auch
in den Evangelien wird die haggadische Methode sichtbar, die Jesus bei seinen Predigten
wahrscheinlich nutzte.
[3] Wahrscheinlich vom Evangelisten Lukas verfasst.
[4] Chilton zufolge glaubte Paulus nicht, Jesus sei körperlich von den
Toten auferstanden. Paulus bezog sich nie auf das leere Grab. In der
Vorstellung von Paulus hatte der auferstandene Jesus einen spirituellen, einen
von Gott transformierten Körper.
[5] Den Ausdruck “Sohn Gottes” gab es schon
lange, bevor er auf Jesus angewendet wurde. In Genesis (6:2) werden so Engel
genannt, bei Hosea (11:1) das ganze Volk Israel und im Psalm 2:7 ein König aus
dem Geschlecht Davids.
[6] Das im zweiten
vorchristlichen Jahrhundert entstandene Buch Daniel nährte den Glauben, dass
Menschen mit seherischen Fähigkeiten von Engeln persönliche Botschaften
empfangen könnten, um sie an die Gläubigen weiterzugeben. In Daniel 10:7 heisst
es: „Aber ich, Daniel, sah dies Gesicht allein, und die Männer, die bei mir
waren, sahen's nicht; doch fiel ein großer Schrecken auf sie, sodass sie flohen
und sichverkrochen.“ Das passt gut zu dem, was die Apostelgeschichte über die Begleiter
von Paulus erzählt: Erschrecken machte sie sprachlos, sie hörten eine Stimme,
aber sie sahen nichts und verstanden nicht, was vor sich ging.
[7] 9 Frohlocke
sehr, du Tochter Zion; jauchze, du Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt
zu dir; ein Gerechter und ein Retterist er, demütig und reitend auf einem Esel(...).
12,
10 Aber über das Haus David und über die Einwohner von Jerusalem will ich
den Geist der Gnade und des Gebets ausgießen, und sie werden auf mich sehen,
den sie durchstochen haben, ja, sie werden um ihn klagen, wie man klagt um den
eingeborenen [Sohn], und sie werden bitterlich über ihn Leid tragen, wie man
bitterlich Leid trägt über den Erstgeborenen.
14, 16 Und
es wird geschehen, dass alle Übriggebliebenen von all den Heidenvölkern, die
gegen Jerusalem gezogen sind, Jahr für Jahr heraufkommen werden, um den König,
den Herrn der Heerscharen, anzubeten und das Laubhüttenfest zu feiern.
17 Und
es wird geschehen: Dasjenige von den Geschlechtern der Erde, das nicht nach
Jerusalem hinaufziehen wird, um den König, den Herrnder Heerscharen
anzubeten, über dieses wird kein Regen fallen. (…)
21 Es
wird auch jeder Kochtopf in Jerusalem und in Juda dem Herrn der
Heerscharen heilig sein, so dass alle, die opfern wollen, kommen werden und
davon nehmen und darin kochen. Und es wird keinen Kanaaniter/Händler mehr im
Haus des Herrn der Heerscharen geben an jenem Tag. (Sach, 9: 9-21)
[8] Der Begriff "Christiani"
entstand in Antiochia und bezeichnete eine Gruppe, die ihren toten Rabbi als
Christus und Gott verehrte, in Analogie zu den "Caesariani", die den
Kaiser in Rom als Gott verehrten.
[9] Der Singular “Same” verweist auf Christus und nicht etwa auf viele
Generationen von Abkommen: “Nun aber sind die Verheißungen dem Abraham und
seinem Samen zugesprochen worden. Es heißt nicht: ‘und den Samen’, als von
vielen, sondern als von einem: ‘und deinem Samen’, und dieser ist Christus.”
(Gal 3:16)
[10] Auch das gängige Argument, dass Gott das Böse
zulässt, weil er den Menschen Willensfreiheit zugestehen will, löst für mich
nicht die quälende Theodizeefrage.
[11] An dieser Stelle sei auf die vielen
alternativen nicht traditionell christlichen, zum Beispiel pantheisten und
panentheistischen Gottesbilder hingewiesen, die ich hier aber nicht weiter
diskutieren will. Ich beschränke mich auf das alttestamentarische personale
Gottesverständnis, das Jesus und Paulus geteilt haben und das bis heute das
Christentum prägt. Ich glaube aber, dass die alttestamentarische Vorstellung
von Jahwe als Herr der Heerscharen geschichtlich überholt ist.
[12] Paulus spricht davon, dass ihm „ein
Pfahl fürs Fleisch gegeben“ wurde, „ein Engel Satans, dass er mich mit Fäusten
schlage, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal den Herrn
gebeten, dass er von mir ablassen soll“ (2. Kor 12: 7-8).
[13] Ein strukturelles Defizit ist nach
neuerem psychodynamischem Verständnis das, was ein Mensch aufgrund seines ganz
persönlichen Schicksals nicht an wichtigen Fähigkeiten der zwischenmenschlichen
Interaktion und der Selbststeuerung erwerben konnte. Die Interaktions- und
Selbststeuerungsfähigkeiten werden in der Persönlichkeitsentwicklung schon früh
und implizit, das heißt ohne bewusste Absicht, erworben oder schicksalhaft (zum
Beispiel weil die Eltern diese Fähigkeiten selbst nicht besaßen) eben nicht
erworben. Kein Mensch hat sich als Kind vorsätzlich geweigert, sich wichtige
Fähigkeiten, die für sein Leben essenziell sind, anzueignen. Daher ist kein
Mensch an seinen strukturellen Defiziten „schuld“. Wir sind aber als Erwachsene
für unsere strukturellen Defizite verantwortlich. Niemand kann uns auf Dauer
diese Verantwortung abnehmen, nicht einmal Gott.
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